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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Schlitzaugen abmurksten), es gab Rima the Jungle Girl in ihrem Pantherfell-Badeanzug, und das Beste war eine reichhaltige Auswahl an Horror-Comics (mit Werwölfen, lebendig Begrabenen und sabbernden Kadavern, die
schlurfend vom Friedhof kamen), und Hely fand sie allesamt unglaublich fesselnd. Er hatte nicht gewusst, dass eine so elektrisierende Lektüre überhaupt existierte, und schon gar nicht, dass er, Hely, sie hier in seiner eigenen Stadt kaufen konnte, bis er eines Nachmittags hatte nachsitzen müssen und in einem leeren Pult ein Heft mit dem Titel Secrets of a Sinister House gefunden hatte. Auf dem Cover versuchte ein verkrüppeltes Mädchen im Rollstuhl in einem unheimlichen alten Haus, unter panischem Schreien vor einer Riesenkobra zu fliehen. Im Inneren des Heftes ging das verkrüppelte Mädchen unter schäumenden Krämpfen zugrunde. Und es gab noch mehr: Vampire, ausgestochene Augen, Brudermorde. Hely war in den Bann geschlagen. Er las es fünf- oder sechsmal von vorn bis hinten, und dann nahm er es mit nach Hause und las es noch ein paarmal, bis er es vorwärts und rückwärts auswendig konnte, jede einzelne Geschichte: »Zimmergefährte des Satans«, »Komm zu mir in meinen Sarg« und »Reisebüro Transsilvanien«. Es war ohne Frage das großartigste Comic-Heft, das er je gesehen hatte, und sicherlich war es einzigartig auf der Welt, irgendein wunderbarer Glücksfall der Natur, nirgends erhältlich. Deshalb war er fassungslos, als er ein paar Wochen später in der Schule einen Jungen namens Benny Landreth sah, der etwas ganz Ähnliches las. Auf dem Cover war das Bild einer Mumie, die einen Archäologen strangulierte. Er beschwor Benny, der eine Klasse höher und ziemlich niederträchtig war, ihm den Comic zu verkaufen, und als das nicht klappte, bot er Benny zwei und dann drei Dollar an, wenn Benny ihm erlaubte, sich das Heft eine Minute anzuschauen, nur eine Minute.
    »Geh zur Pool Hall, und kauf dir selber eins«, hatte Benny gesagt, und dann hatte er das Heft zusammengerollt und Hely damit auf den Kopf gehauen.
    Das war zwei Jahre her. Inzwischen waren Horror-Comics das Einzige, was Hely über gewisse schwierige Abschnitte seines Lebens hinweghalf: über Windpocken, langweilige Autofahrten, Camp Lake de Selby. Wegen seiner begrenzten Mittel und des strikten Verbots, die Pool Hall zu betreten, fanden seine
Einkaufsexpeditionen nur selten, vielleicht einmal im Monat, statt, und seine Vorfreude darauf war grenzenlos. Der dicke Mann an der Kasse hatte anscheinend nichts dagegen, wenn Hely so lange am Comic-Ständer herumstand; eigentlich bemerkte er ihn kaum, und das war auch gut so, denn manchmal studierte Hely die Comics stundenlang, um sicherzugehen, dass er die klügstmögliche Auswahl traf.
    Er war hergekommen, um sich von Harriet abzulenken, aber nach den Kartoffelchips hatte er nur noch fünfunddreißig Cent, und ein Heft kostete zwanzig. Halbherzig blätterte er in einer Geschichte in Dark Mansions mit dem Titel »Der Dämon vor der Tür« (»AARRRGGGHH – !!! – ICH – ICH – HABE ETWAS – ETWAS UNSAGBAR BÖSES ENTFESSELT ... DAS DIESES LAND HEIMSUCHEN WIRD BIS ZUM SONNENAUFGANG!!!!! «), aber sein Blick wanderte immer wieder zu der »Charles Atlas«-Bodybuilding-Anzeige auf der Seite gegenüber. »Sehen Sie sich doch einmal ehrlich an. Besitzen Sie die dynamische Spannkraft, die Frauen so sehr bewundern? Oder sind Sie ein dürrer, hagerer, siebenundneunzig Pfund schwerer, halb lebendiger Schwächling?«
    Hely wusste nicht genau, wie viel er wog, aber siebenundneunzig Pfund klang nach einer ganzen Menge. Düster betrachtete er die »Vorher«-Zeichnung – im Grunde nichts weiter als eine Vogelscheuche – und fragte sich, ob er hinschreiben und sich die Informationen kommen lassen sollte, oder ob es ein Beschiss war wie die Röntgenbrille, die er mal auf eine Anzeige hin bestellt hatte. Es hatte geheißen, mit der Röntgenbrille könne man durch Fleisch und Wände und Frauenkleider hindurchsehen. Gekostet hatte sie einen Dollar achtundneunzig plus fünfunddreißig Cent Versand; es hatte ewig gedauert, bis sie kam, und als sie schließlich da war, war es bloß ein Plastikbrillengestell mit zwei verschiedenen Pappdeckeleinschüben. Auf dem einen war eine Zeichnung von einer Hand, in der man die Knochen sehen konnte, und auf dem anderen eine sexy Sekretärin in einem durchsichtigen Kleid mit einem schwarzen Bikini darunter.
    Ein Schatten fiel über Hely. Als er aufblickte, sah er

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