Der kleine Freund: Roman (German Edition)
ich.« Pemberton rollte herum und ließ sich auf dem Rücken treiben.
»Ein paar Wörter hat er trotzdem gelernt.«
»Yeah? Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel ›Nase‹.«
»Nase? Das ist aber ein schräges Wort für einen Kater«, sagte Pemberton müßig.
»Sie wollte mit den Namen von Dingen anfangen, von Dingen, auf die sie zeigen konnte. Wie Miss Sullivan bei Helen Keller. Sie hat Weenies Nase berührt und gesagt: ›Nase! Das ist deine Nase! Du hast eine Nase! ‹ Dann hat sie ihre Nase berührt, und dann wieder seine, hin und her.«
»Sie hatte wohl sonst nicht viel zu tun.«
»Na ja, eigentlich nicht. Sie haben den ganzen Nachmittag so dagesessen. Und nach einer Weile brauchte Allison nur noch ihre Nase zu berühren, und dann hob Weenie die Pfote und berührte seine eigene Nase, und – das ist kein Witz« , sagte sie, als
Pemberton laut Hohn lachte. »Nein, wirklich, dann hat er so komisch miaut, als ob er sagen wollte: ›Nase.‹«
Pemberton rollte sich auf den Bauch, ging unter und kam platschend wieder hoch. »Hör auf.«
»Es ist wahr. Frag Allison.«
Pem machte ein gelangweiltes Gesicht. »Bloß weil er ein Geräusch gemacht hat ...«
»Ja, aber es war nicht irgendein Geräusch.« Sie räusperte sich und versuchte, das Geräusch zu imitieren.
»Du erwartest doch nicht, dass ich das glaube.«
»Sie hat es auf Tonband! Allison hat einen ganzen Haufen Aufnahmen von ihm gemacht. Das meiste klingt wie ganz normales Miauen, aber wenn du genau hinhörst, kannst du tatsächlich auch ein oder zwei Wörter verstehen.«
»Harriet, ich lach mich gleich tot.«
»Es ist wahr. Frag Ida Rhew. Und er wusste auch, wie spät es war. Jeden Nachmittag um Punkt zwei Uhr fünfundvierzig hat er an der Hintertür gekratzt, damit Ida ihn rausließ und er Allison vom Bus abholen konnte.«
Pemberton dümpelte unter Wasser und strich seine Haare zurück, und dann hielt er sich die Nase zu und prustete geräuschvoll, um die Ohren frei zu machen. »Wieso kann Ida Rhew mich nicht leiden?«, fragte er fröhlich.
»Ich weiß nicht.«
»Sie hat mich noch nie leiden können. Sie war immer eklig zu mir, wenn ich rüberkam, um mit Robin zu spielen, schon als ich noch im Kindergarten war. Sie hat immer ’ne Gerte von den Büschen abgerissen, die ihr da hinten habt, und mich damit durch den ganzen Garten gejagt.«
»Hely kann sie auch nicht leiden.«
Pemberton nieste und wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab. »Was ist eigentlich mit dir und Hely los? Geht ihr nicht mehr miteinander?«
Harriet war entsetzt. »Wir sind noch nie miteinander gegangen.«
»Er sagt aber was anderes.«
Harriet hielt den Mund. Hely ließ sich provozieren und
schrie Sachen, die er gar nicht meinte, wenn Pemberton diesen Trick abzog, aber sie würde nicht darauf reinfallen.
Helys Mutter, Martha Price Hull – die mit Harriets Mutter auf der High School gewesen war –, war dafür berüchtigt, dass sie ihre Söhne nach Strich und Faden verwöhnte. Sie betete sie hemmungslos an und ließ sie tun, was immer sie wollten, ganz gleich, was ihr Vater dazu sagte. Bei Hely konnte man es zwar noch nicht sagen, aber man hielt diese Nachsicht doch allgemein für den Grund, weshalb Pemberton sich so enttäuschend entwickelt hatte. Ihre zärtlichen Erziehungsmethoden waren legendär. Groß- und Schwiegermütter zogen stets Martha Price und ihre Söhne als warnendes Beispiel für die Affenliebe junger Mütter heran, für den großen Kummer, den es einbringen würde, wenn man seinem Kind (beispielsweise) drei Jahre lang erlaubte, jegliche Nahrung außer Schokoladentorte zu verweigern, wie es bei Pemberton der berühmte Fall gewesen war. Im Alter zwischen vier und sieben Jahren hatte Pemberton nichts außer Schokoladentorte zu sich genommen, überdies (wie man ingrimmig betonte) nur eine ganz besondere Sorte Schokoladentorte, die Kondensmilch und alle möglichen kostspieligen Zutaten erforderte. Um sie zu backen, musste die vernarrte Martha Price täglich morgens um sechs Uhr aufstehen. Die Tanten erzählten immer noch davon, wie Pem als Robins Gast sich bei Libby geweigert hatte, zu Mittag zu essen: Er habe mit den Fäusten auf den Tisch getrommelt (»wie Heinrich der Achte«) und Schokoladentorte verlangt. (»Kannst du dir das vorstellen? ›Mama gibt mir Schokoladentorte.‹« »Ich hätte ihm eine ordentliche Tracht Prügel gegeben.«) Dass Pemberton immer noch alle seine Zähne im Mund hatte, war ein Wunder, aber sein Mangel an Fleiß und seine
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