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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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war trotzdem schwer, zur Ruhe zu kommen, solange sie im Haus waren. Die beiden herrenlosen Kinder drüben in der George Street gaben ebenso viel Anlass zur Sorge, wie es wenig gab, was man für sie tun konnte. Während sie nach dem Wasserglas auf dem Nachttisch griff, wanderten ihre Gedanken zu Allison, die sie im Grunde ihres Herzens von ihren beiden Großnichten am liebsten hatte und die das Kind war, das ihr die größten Sorgen bereitete. Allison war wie ihre Mutter Charlotte: zarter, als gut für sie war. Nach Tats Erfahrungen waren es milde, sanfte Mädchen wie Allison und Charlotte, die vom Leben brutal niedergemacht wurden. Harriet
war wie ihre Großmutter zu sehr sogar, weshalb Tat sich in ihrer Gesellschaft nie allzu wohl gefühlt hatte. Sie war ein helläugiges Tigerjunges: ganz niedlich als Kleinkind, aber das ließ nach mit jedem Zentimeter, den sie wuchs. Noch war Harriet nicht alt genug, um selbst für sich zu sorgen, aber der Tag würde bald genug kommen, und dann würde sie wie Edith blühen und gedeihen, was immer ihr widerfuhr: Hungersnot, Bankenkrach oder der Einmarsch der Russen.
    Die Schlafzimmertür quietschte. Tat erschrak und legte sich die Hand auf die Rippen. »Harriet?«
    Old Scratch, Tattys schwarzer Kater, sprang leichtfüßig auf das Bett, setzte sich hin und starrte sie an. Sein Schwanz zuckte hin und her.
    »Was machst du hier, Bombo?«, fragte er – besser gesagt, Tatty fragte es an seiner Stelle in einem schrillen, frechen Singsang, in dem sie und ihre Schwestern von Kindesbeinen an Gespräche mit ihren Haustieren geführt hatten.
    »Du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt, Scratch«, antwortete sie eine Oktave tiefer mit ihrer normalen Stimme.
    »Ich weiß eben, wie man die Tür aufmacht, Bombo.«
    »Still.« Sie stand auf und schloss die Tür. Als sie sich wieder hingelegt hatte, rollte der Kater sich behaglich an ihrem Knie zusammen, und wenig später waren sie beide eingeschlafen.

    Dannys Großmutter Gum verzerrte das Gesicht, als sie mit beiden Händen erfolglos versuchte, eine gusseiserne Pfanne mit Maisbrot vom Herd zu heben.
    »Warte, Gum, ich helf dir.« Farish sprang so schnell auf, dass er den Aluminium-Küchenstuhl umstieß.
    Gum zog den Kopf ein und wich schlurfend vom Herd zurück, und sie lächelte zu ihrem Lieblingsenkel auf. »Oh, Farish, ich mach das schon«, sagte sie kraftlos.
    Danny saß da und starrte auf das karierte Vinyltischtuch, und er wünschte sich inständig woandershin. In der Küche des Wohnwagens war es so eng, dass man sich kaum bewegen konnte, und wegen der Hitze und der Gerüche vom Herd war
es selbst im Winter unangenehm, hier zu sitzen. Vor ein paar Minuten war er in einen Tagtraum abgedriftet, in einen Traum von einem Mädchen. Kein reales Mädchen, sondern ein Mädchen wie ein Geist. Dunkles Haar, das wogte wie die Algen am Rand eines flachen Tümpels: vielleicht schwarz, vielleicht grün. Sie war ihm wunderbar nah gekommen, als wolle sie ihn küssen, aber stattdessen hatte sie ihm in den offenen Mund geatmet, kühle, frische, köstliche Luft, Luft wie ein Hauch aus dem Paradies. Die süße Erinnerung ließ ihn erschauern. Er wollte allein sein, den Tagtraum genießen, denn er verblasste rasch, und Danny sehnte sich verzweifelt danach, wieder darin zu versinken. Aber stattdessen war er hier. »Farish«, sagte seine Großmutter eben, »du sollst wirklich nicht aufstehen.« Die Hände bang zusammengepresst, verfolgte sie mit den Augen, wie Farish herüberlangte und Salz und Sirup auf den Tisch knallte. »Bitte, plag dich nicht damit.«
    »Setz dich hin, Gum«, sagte Farish streng. Es war die übliche Prozedur für die beiden; sie gehörte zu jeder Mahlzeit.
    Mit bedauernden Blicken und großem Geziere humpelte Gum murmelnd zu ihrem Stuhl, während Farish, vollgedröhnt mit Stoff bis unter die Haarspitzen, donnernd zwischen Herd und Tisch und dem Kühlschrank auf der Veranda hin und her polterte und mit lautem Geschepper und Geklapper den Tisch deckte. Als er ihr einen übervollen Teller entgegenhielt, winkte sie ihn matt beiseite.
    »Ihr Jungs esst mal zuerst«, sagte sie. »Eugene, willst du das nicht haben?«
    Farish funkelte Eugene an, der still mit auf dem Schoß gefalteten Händen dasaß, und ballerte Gum den Teller hin.
    »Hier... Eugene...« Mit zitternden Händen bot sie Eugene den Teller an, aber der scheute davor zurück und wollte ihn nicht annehmen.
    »Gum, du bist ein Strich in der Landschaft«, brüllte Farish. »Bald liegst

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