Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
Packratte... Harriet, Liebling, bitte verzeih deinem alten Tantchen, dass es deinem armen Freund die Ohren voll schwatzt. Sie möchte euch nicht auf die Nerven fallen, aber sie möchte auch nicht, dass Hely nach Hause geht und seiner netten kleinen Mutter erzählt, was für ein Durcheinander bei mir herrscht. Und beim nächsten Mal«, sie senkte die Stimme und ging auf Harriet zu, »beim nächsten Mal, Liebling, solltest du Tante Tatty anrufen, bevor ihr den weiten Weg hierher auf euch nehmt. Wenn ich nun nicht da gewesen wäre, um euch aufzumachen?«
    Sie gab der ungerührten Harriet einen schmatzenden Kuss auf die runde Wange (das Kind war wirklich dreckig; der Junge war immerhin sauber, wenn auch eigentümlich gekleidet in diesem langen weißen T-Shirt, das ihm bis über die Knie reichte wie Grandpas Nachthemd). Sie ließ die beiden auf der hinteren Veranda zurück und eilte in die Küche, wo sie mit klapperndem Teelöffel aus Leitungswasser und einem Beutel Pulver mit Zitrusaroma aus dem Supermarkt eine Limonade zusammenrührte. Tattycorum hatte echte Zitronen und Zucker im Haus, aber heutzutage rümpfte ja alles die Nase über die echten Sachen, behaupteten Tattys Freundinnen im Zirkel, die Enkelkinder hatten.
    Sie rief die Kinder herein, damit sie sich ihre Gläser abholten
(»Ich fürchte, hier geht es sehr formlos zu, Hely. Es macht dir hoffentlich nichts aus, dich selbst zu bedienen«), und dann lief sie nach hinten, um sich frisch zu machen.

    An Tats Wäscheleine, die sich quer über die hintere Veranda spannte, hing eine Steppdecke mit großen braunen und schwarzen Karos. Der Klapptisch, an dem sie saßen, stand davor wie vor einer Bühnenkulisse, und die Vierecke der Decke nahmen die kleinen Vierecke des Spielbretts zwischen ihnen wieder auf.
    »Hey, woran erinnert dich diese Steppdecke?«, fragte Hely fröhlich und trat mit dem Absatz gegen die Sprosse an seinem Stuhl. »Das Schachturnier in Liebesgrüße aus Moskau? Weißt du noch? Die erste Szene mit dem riesigen Schachbrett?«
    »Wenn du diesen Läufer anfasst«, sagte Harriet, »dann musst du auch ziehen.«
    »Ich hab doch schon gezogen. Den Bauern da.« Er interessierte sich nicht für Schach oder Dame, von beiden Spielen bekam er Kopfschmerzen. Er hob sein Limonadenglas hoch und tat, als habe er auf dem Grund eine Botschaft von den Russen entdeckt, aber Harriet nahm keine Notiz von seinen hochgezogenen Brauen.
    »Glückwunsch, Sir«, krähte Hely und knallte das Glas auf den Tisch, obwohl sie ihm nicht Schach bot und an ihrem Spiel überhaupt nichts Ungewöhnliches war. »Ein brillanter Zug.« Es war eine Textzeile aus dem Schachturnier im Film, und er war stolz, dass er sich daran erinnerte.
    Sie spielten weiter. Hely schlug mit seinem Läufer einen von Harriets Bauern und klatschte sich mit der flachen Hand an die Stirn, als Harriet sich sofort mit einem Springer auf seinen Läufer stürzte. »Das geht nicht«, sagte er, obwohl er eigentlich nicht genau wusste, ob es ging oder nicht. Nur mit allergrößter Mühe hatte er sich den Schachzug des Springers merken können, und das war schlecht, denn die Springer waren die Figuren, die Harriet am liebsten und am geschicktesten einsetzte.
    Harriet starrte auf das Brett, das Kinn verdrossen in die Hand gestützt. »Ich glaube, er weiß, wer ich bin«, sagte sie plötzlich.
    »Du hast doch nichts gesagt, oder?«, fragte Hely beunruhigt. Auch wenn er ihren Wagemut bewunderte, war es seiner Meinung nach keine gute Idee gewesen, dass sie allein zur Pool Hall gefahren war.
    »Er ist rausgekommen und hat mich angestarrt. Hat einfach dagestanden, ohne sich zu rühren.«
    Hely verschob einen Bauern, ohne nachzudenken, nur um etwas zu tun. Plötzlich fühlte er sich sehr müde und mürrisch. Er mochte keine Limonade, und Schach war nicht das, was er sich unter Spaß vorstellte. Er hatte ein eigenes, hübsches Schachspiel, ein Geschenk seines Vaters, aber er spielte nie damit, außer wenn Harriet herüberkam. Meistens benutzte er die Figuren als Grabsteine für G.I. Joe.

    Die Hitze war unerträglich, obwohl der Ventilator surrte und die Rollos halb heruntergezogen waren, und Tats Allergie hämmerte klobig und unregelmäßig in ihrem Schädel. Das Kopfschmerzpulver hatte einen bitteren Geschmack im Mund hinterlassen. Sie legte ein Buch über Maria Stuart aufgeschlagen auf die Chenille-Tagesdecke und schloss die Augen für einen Moment.
    Von der Veranda war kein Pieps zu hören; die Kinder spielten leise, aber es

Weitere Kostenlose Bücher