Der kleine Freund: Roman (German Edition)
geschlossenen Tür. »Hely? Hast du da jemanden bei dir? Mach sofort die Tür auf!«
»Essie!«, schrie Hely und ließ sich entnervt zurückfallen. »Wir tun doch nichts!«
»Mach die Tür auf! Sofort!«
»Mach doch selbst!«
Herein platzte Essie Lee, die neue Haushälterin, die so neu war, dass sie noch nicht einmal Harriets Namen kannte – obwohl Harriet den Verdacht hatte, dass sie nur so tat. Sie war ungefähr fünfundvierzig, viel jünger als Ida, mit molligen Wangen und künstlich geglätteten Haaren, die an den Enden abgebrochen und splissig waren.
»Was schreist du hier grundlos den Namen des Herrn? Du solltest dich schämen«, rief sie. »Hier spielen, bei geschlossener Tür! Die machst du nich mehr zu, hast du gehört?«
»Pem macht seine Tür auch zu!«
»Der hat aber auch kein Mädchen bei sich.« Essie fuhr herum und funkelte Harriet an, als wäre sie Katzenkotze auf dem Teppich. »Mit Geschrei und Gefluche und Getobe.«
»Du solltest mit meinem Besuch nicht so reden!«, schrillte Hely. »Das darfst du nicht. Ich sag’s meiner Mutter.«
»Ich sag’s meiner Mama.« Essie äffte seinen winselnden Ton nach und verzog das Gesicht. »Lauf doch, und sag’s ihr. Sagst ihr ja dauernd Sachen, die ich nich mal gemacht hab – wie du deiner Mama erzählt hast, ich hätte die Schokochips aufgegessen, wo du sie doch selber gegessen hast? Jawohl, du weißt, dass es so war.«
»Verschwinde!«
Harriet studierte voller Unbehagen den Teppich. Nie hatte
sie sich an die lautstarken Dramen gewöhnen können, die bei Hely zu Hause ausbrachen, wenn seine Eltern auf der Arbeit waren: Hely und Pem gegeneinander (aufgebrochene Schlösser, von den Wänden gerissene Plakate, gestohlene und zerrissene Hausaufgaben) oder, öfter noch, Hely und Pem gegen ständig wechselnde Haushälterinnen: Ruby, die einmal zusammengefaltete Weißbrotscheiben aß und sie nie etwas anderes im Fernsehen anschauen ließ, wenn General Hospital lief. Sister Bell, die Zeugin Jehovas. Shirley mit ihrem braunen Lippenstift und ihren zahllosen Ringen, die ständig telefonierte. Mrs. Doane, eine düstere alte Frau, die schreckliche Angst vor Einbrechern hatte und mit einem Metzgermesser auf dem Schoß am Fenster Wache hielt. Ramona, die irgendwann zum Berserker wurde und Hely mit einer Haarbürste verfolgte. Keine von ihnen war freundlich oder nett gewesen, aber das konnte man ihnen kaum verdenken, denn sie waren Hely und Pemberton den ganzen Tag ausgeliefert.
»Hör dich nur an«, sagte Essie verachtungsvoll. »Garstiges Etwas.« Mit einer unbestimmten Gebärde deutete sie auf die grausigen Vorhänge und die Sticker, die das Fenster verfinsterten. »Abbrennen würde ich’s am liebsten, dieses ganze hässliche...«
»Sie hat gedroht, das Haus abzubrennen!«, kreischte Hely, puterrot im Gesicht. »Du hast es gehört, Harriet. Ich habe eine Zeugin. Sie hat eben gedroht, das ganze Haus...«
»Ich hab kein Wort von eurem Haus gesagt. Du kannst nich ...«
»Doch, hast du doch. Hat sie nicht, Harriet? Ich sag’s meiner Mutter«, schrie er, ohne Harriets Antwort abzuwarten, die viel zu verdattert war, um ein Wort herauszubringen. »Und sie wird die Stellenvermittlung anrufen und denen sagen, dass du verrückt bist und dass sie dich zu niemandem mehr schicken sollen ...«
Hinter Essie erschien Pems Kopf in der Tür. Er schaute Hely an und machte mit vorgeschobener Unterlippe einen bebenden, babyhaften Schmollmund. »Ja, wer hat denn da Mist gemacht?« , zwitscherte er mit tückischer Zärtlichkeit.
Das waren die falschen Worte, genau im falschen Augenblick. Essie Lee fuhr herum, und die Augen quollen ihr aus den Höhlen. »Was hast du so mit mir zu reden?«, kreischte sie.
Pemberton zog die Stirn kraus und blickte verständnislos aus der Wäsche.
»Du jämmerliches Ding! Liegst den ganzen Tag im Bett rum und hast im Leben noch nich gearbeitet! Aber ich muss Geld verdienen. Mein Kind ...«
»Was hat die denn?« Pemberton schaute Hely an.
»Essie hat gedroht, das Haus abzubrennen«, sagte Hely voller Genugtuung. »Harriet ist meine Zeugin.«
»Davon hab ich nichts gesagt!« Essies runde Wangen bebten vor Erregung. »Das ist gelogen!«
Pemberton räusperte sich. Hinter Essies wogender Schulter hob er seine Hand und winkte: alles klar. Mit einer schnellen Daumenbewegung deutete er auf die Treppe.
Hely packte Harriet jählings bei der Hand, zerrte sie in das Badezimmer zwischen seinem und Pembertons Zimmer und schob den Riegel vor.
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