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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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»Beeil dich!«, schrie er Pemberton zu, der auf der anderen Seite in seinem Zimmer war und die Tür aufriss – und dann stürzten sie hinaus, durch Pembertons Zimmer (im Halbdunkel stolperte Harriet über einen Tennisschläger) und hasteten hinter ihm her die Treppe hinunter.

    »Das war verrückt«, sagte Pemberton. Es war das erste Mal seit einer Weile, dass einer von ihnen sprach. Sie saßen zu dritt an dem einsamen Picknicktisch hinter dem Jumbo’s Drive-in auf einer Betonplatte neben zwei verloren aussehenden Kinderspielgeräten: einem Zirkuselefanten und einer verblichenen gelben Ente auf einer Spiralfeder. Sie waren ungefähr zehn Minuten lang mit dem Cadillac ziellos durch die Gegend gefahren, alle drei auf dem Vordersitz, ohne Klimaanlage und bei geschlossenem Dach kurz vor dem Braten, bis Pem schließlich bei Jumbo’s gehalten hatte.
    »Vielleicht sollten wir am Tennisplatz vorbeifahren und es Mutter sagen«, meinte Hely. Er und Pemberton behandelten
einander mit ungewohnter, wenn auch gebremster Herzlichkeit; der Streit mit Essie hatte sie geeint.
    Pemberton nahm einen letzten schlürfenden Schluck von seinem Milkshake und warf den Becher in den Mülleimer. »Mann, das war knapp.« Das grelle Licht der Nachmittagssonne spiegelte sich im Schaufenster und brannte weiß auf den Spitzen seiner vom Poolwasser gekräuselten Haare. »Die Frau ist ein Freak. Ich hatte Angst, sie würde euch was tun.«
    »Hey«, sagte Hely und richtete sich auf. »Die Sirene.« Alle lauschten einen Augenblick auf den fernen Ton.
    »Das ist wahrscheinlich die Feuerwehr«, sagte Hely düster. »Unterwegs zu unserem Haus.«
    »Erzähl mir noch mal, was passiert ist«, sagte Pem. »Sie ist einfach ausgeflippt?«
    »Völlig durchgedreht. Hey, gib mir ’ne Zigarette«, fügte er lässig hinzu, als Pem eine zerdrückte Packung Marlboro aus der Tasche seiner abgeschnittenen Jeans auf den Tisch warf und in der anderen Tasche nach den Streichhölzern wühlte.
    Pem zündete sich eine Zigarette an und schob dann Marlboros und Streichhölzer zur Seite, damit Hely sie nicht erreichen konnte. Der Rauch roch ungewöhnlich scharf und giftig auf dem heißen Beton inmitten der Auspuffgase vom Highway. »Ich muss sagen, ich hab’s kommen sehen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hab’s Mama schon gesagt. Die Frau ist irre. Ist wahrscheinlich aus Whitfield abgehauen.«
    »So schlimm war es gar nicht«, platzte Harriet heraus. Sie hatte kaum ein Wort gesprochen, seit sie aus dem Haus geflohen waren.
    Pem und Hely drehten sich zu ihr um und starrten sie an, als sei sie von Sinnen. »Hä?«, sagte Pem.
    »Auf wessen Seite bist du?«, fragte Hely empört.
    »Sie hat nicht gesagt, dass sie das Haus abbrennen will.«
    »Hat sie doch!«
    »Nein! Sie hat nur abbrennen gesagt. Aber sie hat nicht gesagt, das Haus. Sie meinte Helys Poster und Sticker und das ganze Zeug.«
    »Ach ja?«, sagte Pemberton trocken. »Helys Poster verbrennen? Das findest du dann wohl okay.«
    »Ich dachte, du hast mich gern, Harriet«, sagte Hely schmollend.
    »Aber sie hat nicht gesagt, das sie das Haus abbrennen will«, beharrte Harriet. »Sie hat nur gesagt... Ich meine«, fuhr sie fort, als Pemberton Hely anschaute und wissend die Augen verdrehte, »dass es keine große Sache war.«
    Hely rückte demonstrativ auf der Bank von ihr ab.
    »War es doch auch nicht«, sagte Harriet, die immer unsicherer wurde. »Sie war bloß... sauer.«
    Pem verdrehte die Augen und blies eine Rauchwolke von sich. »Was du nicht sagst, Harriet.«
    »Aber... aber ihr tut so, als wäre sie mit dem Metzgermesser hinter uns her gewesen.«
    Hely schnaubte. »Na, beim nächsten Mal ist sie’s vielleicht! Ich bleibe nicht mehr mit ihr allein«, erklärte er voller Selbstmitleid und starrte auf den Betonboden. »Ich hab’s satt, dauernd Morddrohungen zu kriegen.«

    Die Fahrt durch Alexandria war kurz und ungefähr so reizvoll und unterhaltsam wie der Fahneneid. Am östlichen Stadtrand floss der Houma River nach Süden und von dort im Bogen wieder herauf, und er umschlang zwei Drittel der Stadt. In der Choctaw-Sprache bedeutete Houma »rot«, aber der Fluss war gelb: fett und träge, mit dem Glanz ockergelber Ölfarbe aus der Tube. Man überquerte ihn von Süden her auf einer zweispurigen Eisenbrücke, die noch unter Roosevelt gebaut worden war, und gelangte in den Teil der Stadt, den Besucher als das »historische Viertel« bezeichneten. Eine breite, flache, ungastliche Allee, einsam und verlassen unter

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