Der kleine Freund: Roman (German Edition)
der heißen Sonne, mündete auf den Town Square mit der trostlosen Statue eines konföderierten Soldaten, der sich auf sein aufgestelltes Gewehr lehnte. Früher war der kleine Platz von Eichen überschattet gewesen, aber die waren ein oder zwei Jahre zuvor abgesägt worden, um Raum für eine wirre, aber enthusiastische
Anhäufung von öffentlichen Nostalgiebauten zu schaffen: Uhrturm, Pavillons, Laternenpfählen und Orchesterpodium – ein unziemlich zusammengewürfelter Haufen Spielzeug.
In der Main Street, bis hinauf zur Ersten Baptistenkirche, waren die Häuser überwiegend groß und alt. Im Osten, jenseits von Margin und High Street, waren die Bahngleise, die stillgelegte Baumwollkämmerei und die Lagerschuppen, wo Harriet und Hely spielten. Dahinter, zur Levee Street und zum Fluss hin, begann das Elend: Müllkippen, Schrottplätze, Hütten mit Blechdächern und durchhängenden Veranden und Hühnern, die im Schlamm scharrten.
An der düstersten Stelle, dort wo das Alexandria Hotel stand, verwandelte sich die Main Street in den Highway 5. Die Interstate hatte Alexandria links liegen lassen, und der Highway erfuhr jetzt die gleiche Vernachlässigung wie die Geschäfte am Town Square: aufgegebene Lebensmittelläden und Parkplätze, die in einem giftigen grauen Hitzedunst schmorten, die Checkerboard-Futtermittelhandlung und die alte Southland-Tankstelle, die jetzt mit Brettern vernagelt war (das verblichene Schild zeigte ein freches Kätzchen mit weißem Lätzchen und weißen Strümpfen, das mit der Pfote nach einer Baumwollkapsel schlug). Ein Abzweig nach Norden, auf die County Line Road, führte sie vorbei an Oak Lawn Estates, und hinter einer stillgelegten Überführung begannen Rinderweiden und Baumwollfelder mit winzigen, verstaubten Pachtfarmen, die mühevoll aus dem trockenen roten Lehmboden dieses Ödlands gehauen waren. Harriets und Helys Schule – Alexandria Academy – war hier draußen, eine Viertel Autostunde von der Stadt entfernt: ein flaches Gebäude aus Hohlblocksteinen und Wellblech, das sich mitten auf einem staubigen Feld wie ein Flugzeughangar ausbreitete. Zehn Meilen weiter nördlich, jenseits der Schule, wurden die Rinderweiden endgültig von Kiefernwäldern verdrängt. Sie rückten zu beiden Seiten an die Straße heran, eine dunkle, hohe, Klaustrophobie erzeugende Wand, die unerbittlich fast bis zur Grenze nach Tennessee reichte.
Aber statt auf das Land hinauszufahren, hielten sie an der
roten Ampel bei Jumbo’s, wo der Zirkuselefant sich aufbäumte und mit seinem sonnengebleichten Rüssel eine Neonkugel in die Höhe hielt, auf der stand:
EIS
SHAKES
BURGERS
Dann – vorbei am Friedhof, der sich wie eine Bühnenkulisse auf seinem Hügel erhob (mit schwarzen Eisenzäunen und steinernen Engeln mit anmutigen Hälsen, die die marmornen Torpfeiler an Nord –, Süd –, Ost- und Westseite bewachten) – kehrten sie im Bogen wieder in die Stadt zurück.
Als Harriet kleiner war, war das östliche Ende der Natchez Street nur von Weißen bewohnt gewesen. Jetzt lebten hier Schwarze und Weiße, zum größten Teil in Harmonie. Die schwarzen Familien waren jung und gut gestellt und hatten Kinder; die meisten Weißen – wie Allisons Klavierlehrerin und Libbys Freundin Mrs. Newman McLemore – waren alte verwitwete Ladys ohne Familie.
»Hey, Pem, fahr mal langsamer bei dem Mormonenhaus da vorn«, sagte Hely. Pem schaute ihn verständnislos an. »Was ist denn los?«, fragte er, aber er bremste trotzdem ab.
Curtis war verschwunden, und Mr. Dials Wagen auch. In der Einfahrt parkte ein Pick-up, aber Harriet sah, dass es nicht mehr derselbe war; die Heckklappe war heruntergelassen, und auf der Ladefläche stand nur eine Werkzeugkiste.
»Da sind sie drin?«, fragte Hely und unterbrach unvermittelt eine Klagetirade über Essie Lee.
»Mann, was ist denn das da oben?« Pemberton stoppte mitten auf der Straße. »Ist das Alufolie an den Fensterscheiben?«
»Harriet, erzähl ihm, was du gesehen hast. Sie sagt, sie hat...«
»Ich will gar nicht wissen, was da oben vorgeht. Drehen die schmutzige Filme oder was? Mann.« Pemberton legte den Schalthebel in Parkstellung, überschattete die Augen mit der Hand und spähte hinauf. »Was für ein Irrer klebt sich denn Alufolie an alle Fenster?«
»O mein Gott.« Hely zappelte auf dem Sitz herum und blickte starr geradeaus.
»Was hast du für’n Problem?«
»Pem, los, lass uns fahren.«
»Was ist denn los?«
»Sieh doch«, sagte Harriet nach kurzem,
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