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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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fasziniertem Schweigen. Im mittleren Fenster war ein schwarzes Dreieck erschienen, wo die Alufolie abgeschält wurde – von einer namenlosen, aber geschickten Klaue.

    Als der Wagen davonraste, rollte Eugene die Folie mit zitternden Fingern wieder hoch. Er bekam Migräne. Tränen rannen ihm aus dem Auge; als er in Dunkelheit und Durcheinander vom Fenster zurücktrat, stieß er gegen einen Kasten Sodaflaschen, und das Geschepper ließ den Schmerz in einem gleißenden Zickzack über seine linke Gesichtshälfte herabzucken.
    Migränekopfschmerzen lagen bei den Ratliffs in der Familie. Von Eugenes Großvater – »Papaw« Ratliff, längst verstorben – erzählte man sich, er habe einmal, als er an seinen »üblen Kopfschmerzen« litt, einer Kuh mit einem Vierkantholz ein Auge ausgeschlagen. Und Eugenes Vater, von dem gleichen Leiden geplagt, hatte Danny an irgendeinem längst vergessenen Weihnachtsabend einmal so heftig geschlagen, dass Danny mit dem Kopf gegen die Kühltruhe geflogen war und sich einen Zahn abgebrochen hatte.
    Jetzt waren diese Kopfschmerzen so unvermittelt erwacht, wie sie es selten taten. Die Schlangen genügten schon, um einen krank zu machen, ganz zu schweigen von dem Schrecken, der in ihn gefahren war, als Roy Dial so unangemeldet angerollt war. Aber weder die Cops noch Dial würden hier in einem protzigen alten Kanonenboot herumschnüffeln, wie da draußen vor dem Haus eins angehalten hatte.
    Er ging ins andere Zimmer, wo es kühler war, setzte sich an den Klapptisch und stützte den Kopf in die Hände. Er hatte noch immer den Geschmack von dem Schinkensandwich im
Mund, das er ohne Appetit zum Lunch gegessen hatte, und der bittere Aspirin-Nachgeschmack machte die Erinnerung daran noch unangenehmer.
    Die Kopfschmerzen machten ihn geräuschempfindlich. Als er den Motor im Leerlauf gehört hatte, war er sofort zum Fenster geeilt, felsenfest davon überzeugt, den Sheriff von Clay County zu sehen – oder wenigstens einen Streifenwagen. Wider besseres Wissen zog er jetzt das Telefon zu sich heran und wählte Farishs Nummer. So sehr es ihm zuwider war, Farish anzurufen, in einer solchen Angelegenheit wusste er sich doch nicht zu helfen. Es war ein heller Wagen gewesen, aber das grelle Licht und seine Kopfschmerzen hatten verhindert, dass er die Marke erkannte: vielleicht ein Lincoln, vielleicht ein Cadillac, vielleicht auch ein großer Chrysler. Und von den Insassen hatte er nur sehen können, dass sie weiß waren, obwohl einer von ihnen eindeutig zum Fenster heraufgezeigt hatte. Was hatte so ein altmodischer Paradewagen vor der Mission zu halten? Farish hatte im Gefängnis eine Menge schrille Figuren kennen gelernt – Figuren, mit denen man sich tunlichst noch weniger anlegte als mit den Cops.
    Während Eugene (die Augen fest geschlossen) den Hörer so hielt, dass er sein Gesicht nicht berührte, und zu berichten versuchte, was geschehen war, aß Farish dem Klang nach geräuschvoll und gleichmäßig eine Schüssel Cornflakes: knirsch schlapp knirsch schlapp. Als er zu Ende geredet hatte, hörte er am anderen Ende eine ganze Weile nichts anderes als Farishs Kauen und Schlucken.
    Eugene hielt sich im Dunkeln das linke Auge. »Farsh?«
    »Na, in einem hast du Recht: Kein Cop und kein Inkassomann fährt in so ’nem auffälligen Wagen rum«, sagte Farish. »Vielleicht Syndikat, von der Golfküste unten. Bruder Dolphus hat da mal ein paar kleine Geschäfte gemacht.«
    Die Schüssel stieß klickend an den Hörer, als Farish sie offensichtlich an den Mund setzte und die restliche Milch austrank. Geduldig wartete Eugene darauf, dass er weitersprach, aber Farish schmatzte nur mit den Lippen und seufzte. Ein fernes Klappern von Löffel an Porzellan.
    »Was kann ein Syndikat von der Golfküste denn von mir wollen?«, fragte er schließlich.
    »Was weiß ich? Hast du mir irgendwas verschwiegen?«
    »Ehrlich währt am längsten, Bruder«, antwortete Eugene steif. »Ich führe bloß meine Mission und liebe den Herrn.«
    »Naja. Angenommen, das stimmt. Könnte sein, dass sie hinter dem kleinen Reese her sind. Wer weiß, in was für’n Schlamassel er sich gebracht hat.«
    »Sei ehrlich zu mir, Farsh. Du hast mich in was reingeritten, ich weiß es. Ich weiß«, wiederholte er über Farishs Einspruch hinweg, »dass es was mit deinem Rauschgift zu tun hat. Deswegen ist der Junge aus Kentucky hier. Frag mich nicht, woher ich das weiß; ich weiß es einfach. Ich wünschte, du würdest mir einfach sagen, wieso du

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