Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Oder – ich sag dir was. Vielleicht sollte ich einfach mal selbst vorbeikommen und mich umsehen.«
Nur unter größten Schwierigkeiten gelang es Eugene, Farish davon abzubringen, zur Mission zu kommen und – wie er sagte – eine »Inspektion« vorzunehmen. Dann ließ er sich im Sitzsack nieder, um ein Nickerchen zu machen. Als er gerade dabei war, in einen benebelten, unruhigen Schlaf zu versinken, merkte er, dass Loyal vor ihm stand.
»Loyle?«, stammelte er.
»Ich hab schlechte Neuigkeiten«, sagte Loyal.
»Was ist denn?«
»Da war ein abgebrochener Schlüssel im Schloss. Ich bin nicht reingekommen.«
Eugene blieb still sitzen und versuchte, sich einen Reim zu machen. Er schlief noch halb; in seinem Traum waren verlorene Schlüssel vorgekommen, Autoschlüssel. Er war in einer hässlichen Bar gestrandet gewesen, mit einer lauten Musikbox, an einer Schotterstraße irgendwo in der Nacht, ohne nach Hause zu können.
Loyal sagte: »Jemand hat mir gesagt, ich könnte die Schlangen drüben in Webster County in einer Jagdhütte lassen. Aber da steckte ein abgebrochener Schlüssel im Schloss, und ich konnte nicht rein.«
»Ah.« Eugene schüttelte den Kopf, um ihn zu klären, und schaute sich im Zimmer um. »Das heißt also ...«
»Die Schlangen sind draußen auf meinem Laster.«
Es war lange still.
»Loyle, um die Wahrheit zu sagen, ich hab Migräne.«
»Ich bring sie rein. Du brauchst nicht zu helfen. Ich kann sie allein rauftragen.«
Eugene rieb sich die Schläfen.
»Hör mal, ich bin wirklich in der Klemme. Es ist grausam, sie da draußen in der Hitze braten zu lassen.«
»Ja«, sagte Eugene teilnahmslos. Aber nicht das Wohlergehen der Schlangen machte ihm Sorgen, sondern der Umstand, dass sie da draußen entdeckt werden konnten – von Mr. Dial, von den geheimnisvollen Schnüfflern im Cabrio oder von sonst wem. Und plötzlich erinnerte er sich, dass auch eine Schlange in seinem Traum vorgekommen war, eine gefährliche Schlange, die irgendwo frei zwischen den Leuten umhergekrochen war.
»Okay«, sagte er seufzend zu Loyal. »Bring sie rein.«
»Ich verspreche dir, morgen früh sind sie weg. Das Ganze ist nicht gut für dich gelaufen, das weiß ich«, sagte Loyal. Der intensive Blick seiner blauen Augen war unverhohlen mitfühlend. »Mich hier aufzunehmen.«
»Ist nicht deine Schuld.«
Loyal fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Aber ich möchte dir sagen, dass mir die Gemeinschaft mit dir gefallen hat. Wenn der Herr dich nicht beruft, die Schlange aufzuheben – nun, Er hat Seine Gründe. Manchmal beruft Er mich auch nicht.«
»Ich verstehe.« Eugene hatte das Gefühl, er sollte noch mehr sagen, aber er brachte die richtigen Gedanken nicht auf. Und er schämte sich zu sehr, zu sagen, was er empfand: dass sein Geist ausgetrocknet und leer war, dass er nicht von Natur aus gut war, gut im Geiste und im Herzen. Dass er von unreinem Blut war, von unreiner Herkunft, dass Gott auf ihn herabschaute und seine Gaben verachtete, wie Er die Gaben Kains verachtet hatte.
»Eines Tages werde ich berufen werden«, sagte er mit einer Munterkeit, die er nicht empfand. »Der Herr ist bloß noch nicht bereit für mich.«
»Es gibt andere Gaben des Geistes«, sagte Loyal. »Gebete, Predigten, Prophezeiungen, Visionen. Den Kranken die Hände auflegen. Mildtätige Werke tun. Sogar in deiner eigenen Familie ...« Er zögerte diskret. »Auch da ist Gutes zu tun.«
Müde schaute Eugene in die gütigen, offenen Augen seines Besuchers.
»Es geht nicht um das, was du willst«, sagte Loyal. »Es geht um den vollkommenen Willen Gottes.«
Als Harriet zur Hintertür hereinkam, war der Küchenboden feucht, und die Arbeitsflächen waren sauber gewischt – aber von Ida weit und breit keine Spur. Im Haus war es still: kein Radio, kein Ventilator, keine Schritte, nur das monotone Brummen des Kühlschranks. Hinter ihr kratzte etwas: Harriet erschrak und fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um eine Eidechse zu sehen, die am Fliegengitter des offenen Fensters hinaufkrabbelte.
Der Geruch des Kiefernholzreinigers, den Ida benutzte, machte ihr in der Hitze Kopfschmerzen. Im Esszimmer hockte
der wuchtige Porzellanschrank aus »Drangsal« inmitten schwindlig hoher Zeitungsstapel. Zwei längliche Tranchierplatten, die aufrecht vor dem obersten Bord lehnten, verliehen dem Schrank einen wilden Blick: Geduckt und angespannt auf seinen krummen Füßen, stand er auf der einen Seite leicht schräg von der Wand ab – wie ein
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