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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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allein waren.
    Ida schüttelte den Kopf und antwortete nicht. Ihr Gesicht war ausdruckslos, aber große, glasklare Tränen quollen auf den unteren Rand ihrer Augenlider. Dann wandte sie sich viel sagend ab.
    Harriet war bestürzt. Sie starrte Idas Rücken an, die Schürzenbänder, die sich über dem Baumwollkleid kreuzten, und sie hörte alle möglichen winzigen Geräusche: das Brummen des Kühlschranks, das Summen einer Fliege über der Spüle.
    Ida warf den Handfeger in den Eimer unter der Spüle und machte die Schranktür zu. »Wieso hast du mich verpetzt?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen.
    »Dich verpetzt?«
    »Ich bin immer gut zu dir.« Ida rauschte an ihr vorbei und stellte das Kehrblech an seinen Platz auf dem Boden neben dem Heißwasserbereiter, wo auch der Mopp und der Besen standen.
    »Was hab ich denn verpetzt? Hab ich nicht!«
    »Hast du doch. Und weißt du noch was?« Der feste Blick der geröteten Augen ließ Harriet zittern. »Du hast dafür gesorgt, dass die arme Frau in Mr. Claude Hulls Haus gefeuert worden ist. Jawohl, das hast du «, übertönte sie Harriets verblüfftes Gestammel. »Mr. Claude ist gestern Abend da hingefahren, und du hättest hören sollen, wie er mit der armen Frau geredet hat. Als ob sie ’n Hund wär. Ich hab alles gehört, und Charley T. auch.«
    »Hab ich nicht! Ich hab ...«
    »Hör dich an!«, zischte Ida. »Du solltest dich was schämen. Mr. Claude zu erzählen, die Frau wollte das Haus anzünden. Und was machst du dann ? Verdrückst dich nach Hause und erzählst deiner Mama, ich fütter dich nicht richtig.«
    »Ich hab das nicht erzählt! Hely hat es erzählt!«
    »Ich red nicht von ihm. Ich red von dir .«
    »Aber ich hab ihm gesagt, er soll das nicht sagen! Wir waren in seinem Zimmer, und sie hat an die Tür gehämmert und angefangen zu schreien...«
    »Ja, und dann kommst du nach Hause und schwärzt mich an. Du warst wütend auf mich, als ich gestern nach Hause gegangen bin, bloß weil ich nach der Arbeit nicht noch rumsitzen und Geschichten erzählen wollte. Streit’s nicht ab.«
    »Ida! Du weißt doch, dass Mama alles durcheinander bringt! Ich hab nur gesagt...«
    »Ich sag dir, warum du das getan hast. Du bist wütend und sauer, weil ich nicht den ganzen Abend hier rumsitze und Brathühnchen mache und Geschichten erzähle, wo ich doch nach Hause gehen und meine eigene Arbeit machen
muss. Nachdem ich den ganzen Tag hinter euch hergeputzt hab.«
    Harriet lief hinaus. Der Tag war heiß, sonnengebleicht, lautlos. Sie fühlte sich, als habe sie soeben beim Zahnarzt einen Zahn plombiert bekommen: Pflaumenschwarz erblühte der Schmerz in ihren hinteren Backenzähnen, während sie durch die Glastüren in die gleißende, glühende Hitze des Parkplatzes hinausging. Harriet, holt dich jemand ab? Ja, Ma’am, antwortete sie der Arzthelferin immer, ob nun jemand draußen auf sie wartete oder nicht.
    In der Küche war alles still. Am Zimmer ihrer Mutter waren die Blenden geschlossen. War Ida entlassen? Irgendwie unfassbar, aber diese Frage weckte weder Schmerz noch Angst, nur eine dumpfe Verwunderung wie dann, wenn sie sich nach der Betäubungsspritze kräftig innen in die Wange biss und keinen Schmerz fühlte.
    Ich pflückte ihr ein paar Tomaten zum Lunch, sagte sie sich, und im grellen Licht blinzelnd ging sie zur Seite des Hauses, zu Idas kleinem Gemüsegarten, einem uneingezäunten Fleckchen, drei oder vier Meter im Quadrat, das dringend gejätet werden musste. Da, wo Ida wohnte, hatte sie keinen Platz für einen Garten. Sie machte ihnen zwar jeden Tag Tomatensandwiches, aber das andere Gemüse nahm sie zum größten Teil mit nach Hause. Beinahe täglich offerierte Ida ihr irgendeine Freundlichkeit dafür, dass Harriet ihr im Garten half – eine Partie Dame, eine Geschichte –, aber Harriet lehnte immer ab: Sie konnte Gartenarbeit nicht ausstehen, sie konnte die Erde an den Händen nicht leiden, nicht die Käfer, nicht die Hitze, und auch nicht die brennenden Härchen an den Kürbisranken, von denen ihr die Beine juckten.
    Jetzt wurde ihr schlecht von so viel Selbstsucht. Ungezählte schmerzliche Gedanken umdrängten und plagten sie erbarmungslos. Ida musste dauernd so schwer arbeiten, nicht bloß hier, sondern auch zu Hause. Und was hatte Harriet je zu tun?
    Tomaten. Darüber wird sie sich freuen. Sie pflückte auch ein paar Paprika und Okraschoten und eine dicke schwarze Aubergine, die erste in diesem Jahr. Sie legte das erdverschmierte
Gemüse in einen kleinen

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