Der kleine Freund: Roman (German Edition)
sich nicht bewegen, und es war, als werde sie den Rest ihres Lebens diese kahle Wand anstarren müssen.
Sie blieb still im Dunkeln liegen und schaute die Schachtel
auf dem Boden neben ihrem Bett an, bis die Straßenlaternen erloschen und das Zimmer sich mit blauem Dämmerlicht füllte. Schließlich stand sie auf, nahm eine gerade Nadel von ihrem Sekretär und setzte sich barfuß und mit gekreuzten Beinen auf den Boden, und dann verbrachte sie eine gute Stunde damit, eifrig winzige Geheimbotschaften in die Pappschachtel zu stechen, bis die Sonne aufging und es im Zimmer wieder hell war: Idas letzter Tag. IDA, WIR LIEBEN DICH. IDA R. BROWNLEE. KOMM ZURÜCK IDA. VERGISS MICH NICHT, IDA. IN LIEBE.
Obwohl er deswegen ein schlechtes Gewissen hatte, genoss Danny den Aufenthalt seiner Großmutter im Krankenhaus. Das Leben zu Hause war einfacher, wenn sie Farish nicht dauernd aufstachelte. Und obwohl Farish eine Menge Drogen nahm (solange Gum weg war, hinderte ihn nichts daran, die ganze Nacht mit Rasierklinge und Spiegel vor dem Fernseher zu hocken), war die Gefahr nicht so groß, dass er seinen Brüdern an die Gurgel ging, wenn die zusätzliche Belastung, sich dreimal täglich zu Gums mächtigen Pfannengerichten in der Küche zu versammeln, wegfiel.
Danny nahm selbst eine Menge Stoff, aber das war okay. Bald würde er damit aufhören, er war bloß noch nicht so weit. Und die Drogen gaben ihm genug Energie, um den ganzen Trailer sauber zu machen. Barfuß, schwitzend, nackt bis auf die Jeans, putzte er Fenster und Wände und Böden; er warf das ganze ranzige Schmalz und Speckfett weg, das Gum in müffelnden alten Kaffeedosen überall in der Küche versteckt hatte; er schrubbte das Bad und bohnerte das Linoleum, bis alles glänzte, und er bleichte die ganze alte Unterwäsche und die T-Shirts, bis sie wieder weiß waren. (Ihre Großmutter hatte sich nie an die Waschmaschine gewöhnen können, die Farish ihr gekauft hatte; dauernd wusch sie weißes Zeug mit buntem zusammen, sodass es grau wurde.)
Das Putzen gab Danny ein gutes Gefühl: das Gefühl, Herr der Lage zu sein. Der Trailer war tiptop sauber und aufgeräumt,
wie die Kombüse auf einem Schiff. Sogar Farish bemerkte, wie adrett alles aussah. Danny wusste, dass es nicht ratsam war, irgendeins von Farishs »Projekten« anzurühren (halb zusammengebaute Maschinenteile, kaputte Rasenmäher und Vergaser und Tischlampen), aber man konnte um sie herum putzen. All den unnötigen Müll loszuwerden war schon der halbe Erfolg. Zweimal täglich fuhr er den Abfall zur Müllkippe. Wenn er für Curtis Buchstabensuppe warm gemacht oder Eier mit Speck gebraten hatte, spülte er die Teller und trocknete sie gleich ab, statt sie stehen zu lassen. Er klügelte sogar eine Methode aus, wie man das Geschirr im Schrank am besten stapelte, damit es nicht so viel Platz wegnahm.
Abends saß er mit Farish herum. Auch das war ein Vorzug von Speed: Es verdoppelte den Tag. Man hatte Zeit zum Arbeiten, Zeit zum Reden, Zeit zum Nachdenken.
Und es gab eine Menge nachzudenken. Die Attacken der letzten Zeit – auf die Mission, auf Gum – hatten Farishs Aufmerksamkeit auf einen einzigen Punkt konzentriert. In den alten Zeiten – vor seiner Kopfverletzung – hatte Farish ein Händchen dafür gehabt, bestimmte praktische und logistische Probleme zu analysieren, und ein bisschen von dieser alten, berechnenden Gerissenheit lag jetzt in der Neigung seines Kopfes, als er und Danny auf der unvollendeten Straßenbrücke standen und den Tatort untersuchten: die verzierte Dynamitkiste der Kobra, leer. Eine rote Kinderkarre. Ein Gewirr von kleinen Fußspuren, die im Zementstaub hin und her liefen.
»Wenn sie das gewesen ist«, sagte Farish, »dann bringe ich das kleine Luder um.« Er stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte schweigend in den Zementstaub.
»Was denkst du?«, fragte Danny.
»Ich frage mich, wie ein Kind diese schwere Kiste bewegen konnte.«
»Mit der Karre.«
»Nicht über die Treppe bei der Mission.« Farish nagte
an der Unterlippe. »Und außerdem – wenn sie die Schlange geklaut hat, wieso klopft sie dann an und zeigt ihr Gesicht?«
Danny zuckte die Achseln. »Kids«, sagte er. Er zündete sich eine Zigarette an, sog den Rauch in die Nase und ließ das große Zippo-Feuerzeug zuschnappen. »Sind halt dämlich.«
»Wer das hier getan hat, war nicht dämlich. Um so was abzuziehen, braucht man Mumm. Und Timing.«
»Oder Glück.«
»Egal«, sagte Farish. Er verschränkte
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