Der kleine Freund: Roman (German Edition)
was mir nicht aus dem Kopf geht?«, sagte Danny. »Das Mädchen, das an dem Abend oben an der Tür war.«
»An sie hab ich auch gedacht«, sagte Farish. »Ich hab sie mir nicht genau angesehen. Wo kam sie her? Und wieso trieb sie sich draußen am Haus rum?«
Danny zuckte die Achseln.
»Du hast sie nicht gefragt?«
»Hey, Mann.« Danny bemühte sich, in ruhigem Ton zu sprechen. »An dem Abend war ’ne Menge los.«
»Und du hast sie abhauen lassen?« Farish wandte sich an Gum. »Du sagst, du hast ein Kind gesehen. Schwarz oder weiß? Junge oder Mädchen?«
»Yeah, Gum«, sagte Danny. »Was hast du gesehen?«
»Na, um die Wahrheit zu sagen«, antwortete ihre Großmutter matt, »was Genaues hab ich nicht gesehen. Ihr wisst doch, wie meine Augen sind.«
»War es ein Kind? Oder mehrere?«
»Ich hab nicht viel gesehen. Als ich von der Straße runterfuhr, hab ich oben auf der Brücke ein Kind schreien und lachen hören.«
»Dieses Mädchen«, sagte Eugene zu Farish, »war an dem Abend in der Stadt und hat mir und Loyal beim Predigen zugesehen. Ich erinnere mich an sie. Sie hatte ein Fahrrad.«
»Sie hatte kein Fahrrad, als sie in die Mission kam«, sagte Danny. »Da ist sie zu Fuß weggerannt.«
»Ich sag ja nur, was ich gesehen hab.«
»Ich glaube, ich hab ein Fahrrad gesehen, wenn ich’s mir überlege«, sagte Gum. »Aber sicher bin ich nicht.«
»Ich will mit diesem Mädchen sprechen«, sagte Farish. »Ihr sagt, ihr wisst nicht, wer sie ist?«
»Sie hat uns ihren Namen genannt, aber sie konnte sich nicht entscheiden. Erst hieß sie Mary Jones. Dann hieß sie Mary Johnson.«
»Würdest du sie wiedererkennen, wenn du sie noch mal siehst?«
»Ich würde sie wiedererkennen«, sagte Eugene. »Ich hab zehn Minuten neben ihr gestanden, und ich hab ihr Gesicht aus der Nähe gesehen.«
»Ich auch«, sagte Danny.
Farish presste die Lippen zusammen. »Sind die Cops mit der Sache befasst?«, fragte er seine Großmutter unvermittelt. »Haben sie dir irgendwelche Fragen gestellt?«
»Ich hab ihnen nichts gesagt.«
»Gut.« Unbeholfen tätschelte Farish seiner Großmutter die Schulter. »Ich kriege raus, wer dir das angetan hat«, versprach er. »Und du kannst drauf wetten: Wenn ich sie finde, wird’s ihnen Leid tun.«
Für Allison glichen Idas letzte Arbeitstage den Tagen vor Weenies Tod: diese endlosen Stunden, die sie neben seiner Kiste auf dem Küchenfußboden gelegen hatte. Ein Teil von ihm war noch da gewesen, aber das meiste – das Beste – war schon fort. »Le Sueur«-Erbsen hatte auf der Kiste gestanden. Die schwarzen Buchstaben hatten sich mit der ganzen üblen Wucht der Verzweiflung in Allisons Erinnerung geprägt. Mit der Nase dicht vor diesen Buchstaben hatte sie dagelegen und versucht, im Takt seines abgehackten, qualvollen kleinen Keuchens zu atmen, als könne sie ihm mit ihrer eigenen Lunge Auftrieb geben. Wie riesig die Küche war, von so tief unten gesehen, so
spät nachts: all diese Schatten. Noch jetzt hatte Weenies Tod den wächsernen Schimmer des Linoleums in Edies Küche, noch immer verband sich damit das Gefühl der Bedrängnis durch die Schränke mit ihren Glastüren (ein Publikum von Tellern in Reihen auf der Galerie, hilflos glotzend) und die nutzlose Fröhlichkeit der roten Geschirrtücher und der Vorhänge mit dem Kirschenmuster. Diese stummen, wohlmeinenden Objekte – Pappkiste, Kirschenvorhänge, bunt zusammengewürfeltes Geschirr – waren dicht an Allisons Trauer herangerückt und hatten die ganze lange, furchtbare Nacht hindurch mit ihr gewacht. Und jetzt, da Ida ging, gab es im ganzen Haus nichts, was Allisons Schmerz geteilt oder aufgefangen hätte, nichts außer ein paar Gegenständen: die düsteren Teppiche, die wolkigen Spiegel, die Sessel, so geduckt und trauernd, und sogar die tragische alte Standuhr, die sich sehr starr und korrekt aufrecht hielt, als wolle sie im nächsten Augenblick in Schluchzen ausbrechen. Die Wiener Dudelsackpfeifer und die Doulton-Ladys in ihren Krinolinen gestikulierten beschwörend in der Porzellanvitrine und deuteten hierhin und dorthin, die Wangen hektisch rot, der dunkle Blick der kleinen, hohlen Augen wie betäubt.
Ida Hatte Zu Tun. Sie machte den Kühlschrank sauber, nahm alles aus den Schränken und wischte sie aus; sie machte Bananenbrot und einen oder zwei Aufläufe, die sie in Alufolie wickelte und in den Gefrierschrank stellte. Sie plauderte, summte sogar und machte einen ganz vergnügten Eindruck – nur, dass sie die ganze
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