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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Zeit, während sie umherhastete, Allison nie in die Augen schaute. Einmal glaubte Allison zu sehen, dass sie weinte. Behutsam blieb sie in der Tür stehen. »Weinst du?«, fragte sie.
    Ida Rhew zuckte zusammen, drückte sich dann die Hand auf die Brust und lachte. »Du meine Güte, nein!«, rief sie.
    »Ida, bist du traurig?«
    Aber Ida schüttelte nur den Kopf und arbeitete weiter, und Allison ging auf ihr Zimmer und weinte. Später würde sie bereuen, dass sie eine ihrer letzten paar Stunden mit Ida damit vergeudet hatte, allein in ihrem Zimmer zu weinen. Aber in
diesem Augenblick in der Küche zu stehen und zuzusehen, wie Ida ihr den Rücken zuwandte und die Schränke reinigte, war so traurig, dass sie es nicht ertragen konnte, so traurig, dass Allison panische, atemlose Erstickungsgefühle bekam, wenn sie sich nur daran erinnerte. Irgendwie war Ida bereits weg; so warm und zuverlässig sie auch war, sie hatte sich doch schon in eine Erinnerung verwandelt, in einen Geist, obwohl sie da in ihren weißen Krankenschwesternschuhen in der sonnigen Küche stand.
    Allison ging zum Lebensmittelladen und ließ sich einen Pappkarton geben, in dem Ida ihre Stecklinge unterbringen konnte, damit sie auf der Reise nicht kaputtgingen. Mit dem Geld, das sie hatte – zweiunddreißig Dollar, altes Weihnachtsgeld – kaufte sie alles, was ihr einfiel und was Ida vielleicht brauchen oder sich wünschen würde: Lachs in Dosen, den Ida gern mit Crackern zum Lunch aß, Ahornsirup, Kniestrümpfe und ein elegantes Stück englische Lavendelseife, Kekse mit Feigenfüllung, eine Schachtel Pralinen, ein Briefmarkenheftchen, eine hübsche rote Zahnbürste und eine Tube gestreifte Zahnpasta und sogar ein großes Glas »Einmal täglich«-Vitamine.
    Sie trug das alles nach Hause, und an diesem Abend verbrachte sie lange Zeit auf der hinteren Veranda damit, Idas Stecklinge einzupacken: Jede Schnupftabaksdose, jeder Plastikbecher kam einzeln in einen sorgfältig gefalteten Umschlag aus feuchtem Zeitungspapier. Auf dem Dachboden war eine hübsche rote Schachtel mit Weihnachtslichtern. Allison hatte sie ausgekippt und die Schachtel mit nach unten in ihr Zimmer genommen, um die Geschenke darin zu verpacken, als ihre Mutter durch den Flur getrippelt kam (mit leichtem, unbekümmertem Schritt) und den Kopf zur Tür hereinstreckte.
    »Es ist einsam hier ohne Harriet, nicht?«, fragte sie strahlend. Ihr Gesicht glänzte von Cold Cream. »Möchtest du in mein Zimmer kommen und fernsehen?«
    Allison schüttelte den Kopf. Das Verhalten ihrer Mutter beunruhigte sie, denn es war überhaupt nicht ihre Art, abends
nach zehn noch herumzulaufen, sich für irgendetwas zu interessieren und Einladungen auszusprechen.
    »Was machst du denn da? Ich finde, du solltest zu mir kommen und fernsehen«, sagte ihre Mutter, als Allison keine Antwort gab.
    »Okay. Allison stand auf.
    Ihre Mutter warf ihr einen seltsamen Blick zu, und Allison schaute in qualvoller Verlegenheit weg. Manchmal, besonders wenn sie beide miteinander allein waren, spürte sie schmerzhaft, wie enttäuscht ihre Mutter war, dass sie sie war und nicht Robin. Ihre Mutter konnte nichts dafür – im Gegenteil, sie bemühte sich sogar rührend angestrengt, es zu verbergen  –, aber Allison wusste, dass ihre bloße Existenz eine Erinnerung an das war, was fehlte, und mit Rücksicht auf die Gefühle ihrer Mutter tat sie ihr Bestes, um ihr aus dem Weg zu gehen und sich im Haus so unauffällig wie möglich zu verhalten. Die nächsten paar Wochen würden schwierig werden, wenn Ida nicht mehr da und Harriet verreist wäre.
    »Du musst nicht fernsehen kommen«, sagte ihre Mutter schließlich. »Ich dachte nur, du möchtest es vielleicht.«
    Allison spürte, dass sie rot wurde. Sie wich dem Blick ihrer Mutter aus. Alle Farben in ihrem Zimmer – auch die der Schachtel kamen ihr plötzlich viel zu grell vor.
    Als ihre Mutter wieder gegangen war, packte Allison weiter ein, und dann steckte sie das Geld, das sie noch übrig hatte, in einen Umschlag mit dem Briefmarkenheftchen, einem Schulfoto von sich und ihrer Adresse, die sie in sorgsamen Blockbuchstaben auf einen Bogen gutes Briefpapier geschrieben hatte. Schließlich verschnürte sie die Schachtel mit einem grünen Flitterband.
    Viel später, mitten in der Nacht, schrak Allison aus einem schlechten Traum hoch – aus einem Traum, den sie schon öfter gehabt hatte und in dem sie mit dem Gesicht dicht vor einer weißen Wand stand. In diesem Traum konnte sie

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