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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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einfach auf.« Sie hatten ihre Ringe aufschneiden müssen, weil ihre Hände so geschwollen waren... Libbys kleine Hände, so papierzart und zierlich! Geliebte kleine fleckige Hände, Hände, die Papierschiffchen gefaltet und sie in der Spüle hatten schwimmen lassen! Geschwollen wie Grapefruits, das war die Floskel, die schreckliche Floskel, die Edie in den letzten paar Tagen mehr als einmal wiederholt hatte. Geschwollen wie Grapefruits. Mussten den Juwelier rufen, damit er die Ringe von den Fingern schnitt...
    Warum habt ihr mich nicht geholt?, hatte Harriet fassungslos und wie vom Donner gerührt gefragt, als sie endlich die Sprache wieder gefunden hatte. Ihre Stimme in der klimatisierten Kälte von Edies neuem Wagen hatte gequietscht, schrill und unangemessen unter der schwarzen Lawine, unter der sie fast die Besinnung verloren hatte, als sie diese Worte gehört hatte: Libby Ist Tot.
    Na ja, hatte Edie philosophisch erwidert, ich dachte, warum soll ich dir deinen Spaß verderben, solange es nicht sein muss.
    »Ihr armen kleinen Mädchen«, sagte eine vertraute Stimme über ihnen. Es war Tat.
    Allison schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu schluchzen. Harriet biss die Zähne zusammen. Sie ist die Einzige, die trauriger ist als ich, dachte sie. Der einzige andere wirklich traurige Mensch in diesem Raum.
    »Nicht weinen.« Tats Lehrerinnenhand ruhte einen Moment lang auf Allisons Schulter. »Libby würde es nicht wollen.«
    Warum , dachte Harriet wütend, blind und benommen vom
Weinen, warum haben sie mich in diesem stinkigen Camp gelassen, während Libby im Bett lag und starb?
    Im Auto hatte Edie fast so etwas wie eine Entschuldigung vorgebracht. Wir dachten, sie kommt wieder auf die Beine, hatte sie zuerst gesagt, und dann: Ich dachte, du möchtest sie lieber in Erinnerung behalten, wie sie war – und schließlich: Ich hab nicht nachgedacht.
    »Kinder?«, sagte Tat. »Erinnert ihr euch an unsere Cousinen Delle und Lucinda aus Memphis?«
    Zwei alte Damen mit hängenden Schultern kamen heran: die eine groß und braun, die andere rund und schwarzhaarig und mit einer juwelenbesetzten schwarzen Samthandtasche.
    »Ich muss schon sagen!«, erklärte die große Braune. Sie stand da wie ein Mann in ihren großen flachen Schuhen, die Hände in den Taschen ihres khakifarbenen Blusenkleides.
    »Die lieben Kleinen«, murmelte die kleine Dicke und betupfte sich die Augen (die schwarz umrandet waren wie bei einem Stummfilmstar) mit einem rosa Papiertaschentuch.
    Harriet starrte sie an und dachte an den Pool im Country Club, an das blaue Licht, und wie absolut lautlos die Welt war, wenn man tief Luft holte und unter Wasser glitt. Du kannst jetzt dort sein, sagte sie sich, du kannst jetzt dort sein, wenn du angestrengt genug daran denkst.
    »Harriet, darf ich dich für einen Augenblick ausborgen?« Adelaide, die in ihrem trauerschwarzen Kostüm mit dem weißen Kragen sehr schick aussah, nahm sie bei der Hand und zog sie hoch.
    »Aber nur, wenn du versprichst, sie zurückzubringen!« Die kleine runde Lady drohte mit einem schwer beringten Finger.
    Du kannst von hier verschwinden. Im Geiste. Du brauchst nur wegzugehen. Wie hatte Peter Pan noch zu Wendy gesagt? »Mach einfach die Augen zu, und denke hübsche Gedanken.«
    »Oh!« Mitten im Raum blieb Adelaide wie angewurzelt stehen und schloss die Augen. Leute strömten an ihnen vorbei. Musik von einer unsichtbaren Orgel erklang schwerfällig ganz in der Nähe.
    »Tuberosen!« Adelaide atmete aus, und die Konturen ihrer
Nase hatten im Profil so viel Ähnlichkeit mit Libbys, dass Harriets Herz sich unangenehm zusammenzog. »Riech doch mal!« Sie nahm Harriet bei der Hand und zog sie zu einem großen Blumenarrangement in einer Porzellanvase hinüber.
    Die Orgelmusik war nicht echt. In einem Alkoven hinter der Totenbahre entdeckte Harriet ein Tonbandgerät, dessen Spulen sich hinter samtenen Drapagen drehten.
    »Meine Lieblingsblume!« Adelaide drängte sie weiter. »Siehst du, die kleinen da. Riech mal dran, Schatz.«
    Harriets Magen fing an zu flattern. Der Duft in dem überheizten Raum war übermächtig und von tödlicher Süße.
    »Sind sie nicht himmlisch?«, fragte Adelaide. »Ich hatte welche in meinem Hochzeitsbouquet...«
    Etwas flackerte vor Harriets Augen, und alles bekam schwarze Ränder. Ehe sie sich versah, wirbelten die Lichter um sie herum, und große Finger – die Finger eines Mannes – umfassten ihren Ellenbogen.
    »In Ohnmacht würde ich vielleicht nicht

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