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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Kindheit,
als sie verkündet hatte, sie wolle Einkäuferin für die Modeabteilung eines großen Kaufhauses werden.
    Mrs. Chaffin stellte eben ihren Becher auf die Untertasse, die sie auf der Handfläche der Linken balancierte. »Wissen Sie«, sagte sie eben zu Charlotte, »Christsterne können wunderbar zu einer weihnachtlichen Beerdigung passen. Um diese Jahreszeit ist es in der Kirche oft so dunkel.«
    Edie stand mit verschränkten Armen da und beobachtete die beiden. Wenn sich der richtige Augenblick ergäbe, wollte sie auch ein Wörtchen mit Mrs. Chaffin reden. Zwar hatte Dix – so kurzfristig, laut Charlotte – nicht aus Nashville zur Beerdigung kommen können, aber das Arrangement aus Falschem Jasmin und Eisbergrosen, das er geschickt hatte (zu dekorativ, zu geschmackvoll, feminin irgendwie), hatte Edies Aufmerksamkeit erregt. Auf jeden Fall war es aufwendiger, als es Mrs. Chaffins Arrangements sonst waren. Im Bestattungsinstitut war sie dann Zeuge eines Gesprächs geworden, in dem sie Mrs. Hatfield Keene, die dabei war, Mrs. Chaffin bei den Blumen zur Hand zu gehen, hatte sagen hören – steif, als reagiere sie auf eine unangemessene Vertraulichkeit: »Nun ja, sie könnte Dixons Sekretärin gewesen sein.«
    Mrs. Chaffin hatte eine Gladiolenfontäne zurechtgerückt, und dabei hatte sie die Nase gerümpft und den Kopf viel sagend zur Seite gelegt. »Also, ich war ja am Telefon und hab den Auftrag selbst entgegengenommen.« Sie trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten. »Und für mich klang sie nun wirklich nicht wie eine Sekretärin.«
     
    Hely ging nicht nach Hause, sondern nur um die Ecke und außen herum zur Seitenpforte von Edies Garten, wo er Harriet in Edies Hollywoodschaukel sitzen sah. Er marschierte hin und fragte ohne Einleitung: »Hey, wann bist du nach Hause gekommen?«
    Er hatte erwartet, dass seine Anwesenheit sie aufheitern würde, und als sie es nicht tat, war er verärgert. »Hast du meinen Brief gekriegt?«
    »Ja«, sagte Harriet. Sie hatte so viele gebrannte Mandeln
vom Büffett gegessen, dass ihr halb schlecht war, und sie hatte einen unangenehmen Nachgeschmack im Mund. »Du hättest ihn nicht schicken sollen.«
    Hely setzte sich neben sie in die Schaukel. »Ich bin fast durchgedreht. Ich ...«
    Mit einer knappen Kopfbewegung deutete Harriet auf Edies Veranda, wo vier oder fünf Erwachsene mit Punschbechern hinter dem Fliegendraht standen und schwatzten.
    Hely holte tief Luft. Leiser fuhr er fort: »Man konnte Angst kriegen hier. Er fährt überall rum. Ganz langsam. Als ob er uns sucht. Ich bin mit meiner Mutter im Auto unterwegs, und da parkt er bei der Brücke, als ob er sie beobachtet.«
    Obwohl sie nebeneinander saßen, schauten sie beide starr geradeaus zu den Erwachsenen auf der Veranda hinüber und sahen einander nicht an. »Du bist nicht noch mal hingegangen, um die Karre zu holen, oder?«, fragte Harriet.
    »Nein!«, sagte Hely schockiert. »Glaubst du, ich bin bescheuert? ’ne Zeit lang war er jeden Tag da. In letzter Zeit fährt er immer zum Güterbahnhof, unten bei den Gleisen.«
    »Warum?«
    »Woher soll ich das wissen? Vor zwei Tagen hatte ich Langeweile und bin zum Lagerschuppen gegangen, um ein paar Tennisbälle zu schlagen. Da hab ich ein Auto gehört, und zum Glück hab ich mich gleich versteckt, denn er war’s. Ich hab noch nie solche Angst gehabt. Er hielt an und blieb ’ne Weile im Wagen sitzen. Dann ist er ausgestiegen und rumgelaufen. Vielleicht war er mir gefolgt. Ich weiß es nicht.«
    Harriet rieb sich die Augen. »Ich hab ihn erst kürzlich in die Richtung fahren sehen. Heute.«
    »Zur Bahnlinie?«
    »Kann sein. Ich hab mich gefragt, wo er hinwollte.«
    »Ich bin bloß froh, dass er mich nicht gesehen hat«, sagte Hely. »Als er aus dem Wagen stieg, hätte ich fast’n Herzanfall gekriegt. Ungefähr eine Stunde lang hab ich mich im Gebüsch versteckt.«
    »Wir sollten einen Sondereinsatz starten. Rübergehen und sehen, was er da unten treibt.«
    Sie hatte angenommen, dass der Ausdruck »Sondereinsatz« für Hely unwiderstehlich klingen würde, und war überrascht, als er sofort und entschlossen antwortete: »Ohne mich. Ich geh da nicht noch mal runter. Dir ist nicht klar ...«
    Seine Stimme war schrill geworden. Einer der Erwachsenen drehte sich um und schaute mit leerem Blick zu ihnen herüber. Harriet gab ihm einen Rippenstoß.
    Er sah sie genervt an. »Aber du kapierst nicht. Du hättest das sehen müssen. Der hätte mich umgebracht,

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