Der kleine Freund: Roman (German Edition)
belästigst, wenn es einen Todesfall gegeben hat. Jetzt verschwinde!«, rief sie, als er immer noch dastand und sie anglotzte.
Sie blieb in der Tür stehen und sah ihm nach, wie er die Verandatreppe hinunterging und sich ohne überstürzte Eile um die Ecke verdrückte und verschwand. Dann ging sie in die Küche,
holte die Whiskeyflasche aus dem Schrank unter der Spüle und frischte ihren Drink auf, ehe sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, um nach ihren Gästen zu sehen. Das Gedränge lichtete sich. Charlotte (die zerdrückt und schweißfeucht aussah und rosa im Gesicht war, als habe sie sich heftig anstrengen müssen) stand auf ihrem Posten bei der Punschbowle und lächelte mit benebelter Miene die mopsgesichtige Mrs. Chaffin aus dem Blumengeschäft an, die gesellig mit ihr schwatzte, während sie zwischendurch an ihrem Punsch nippte. »Ich gebe Ihnen einen Rat«, sagte sie eben, besser gesagt, sie schrie, denn Mrs. Chaffin hatte wie viele Schwerhörige die Neigung, die eigene Stimme zu erheben, statt andere zu bitten, lauter zu sprechen. »Sehen Sie zu, dass das Nest wieder gefüllt wird. Es ist schrecklich, ein Kind zu verlieren, aber in meinem Geschäft habe ich viel mit Todesfällen zu tun, und das Beste ist, wenn man sich gleich dranmacht und noch was Kleines kriegt.«
Edie sah eine große Laufmasche hinten im Strumpf ihrer Tochter. Die Verantwortung für die Punschbowle zu tragen war keine besonders anspruchsvolle Aufgabe. Selbst Harriet oder Allison hätten das übernehmen können, und Edie hätte auch eine der beiden damit beauftragt, wenn sie es nicht unangemessen gefunden hätte, dass Charlotte während des Empfangs in der Gegend herumstand und tragisch ins Leere stierte. »Aber ich weiß nicht, was ich da tun soll«, hatte sie mit ängstlich quiekender Stimme gesagt, als Edie sie zur Bowle bugsiert und ihr die Kelle in die Hand gedrückt hatte.
»Du füllst ihnen den Becher und schenkst ihnen nach, wenn sie noch etwas wollen.«
Als wäre die Kelle ein Schraubenschlüssel und die Punschbowle eine komplizierte Maschine, hatte Charlotte ihre Mutter entgeistert angestarrt. Mehrere Damen aus dem Chor lauerten höflich und mit zögerndem Lächeln in der Nähe der Becher und Untertassen.
Edie riss Charlotte die Kelle aus der Hand, tauchte sie in die Bowle, füllte einen Becher und stellte ihn auf das Tischtuch; dann gab sie Charlotte die Kelle zurück. Unten am Ende des Tisches drehte die kleine Mrs. Teagarten (ganz in Grün,
wie ein kleiner, munterer Laubfrosch mit ihrem breiten Mund und den großen, feucht glänzenden Augen) sich theatralisch um und drückte eine sommersprossige Hand an die Brust. »Gütiger Himmel!«, rief sie. »Ist das für mich?«
»Aber natürlich!«, antwortete Edie mit ihrer hellsten Bühnenstimme, und die Damen kamen strahlend auf sie zugewandert.
Charlotte zupfte ihre Mutter eindringlich am Ärmel. »Aber was soll ich zu ihnen sagen?«
»Ist das nicht erfrischend?«, rief Mrs. Teagarten laut. »Schmecke ich da Ginger Ale?«
»Ich schätze, du brauchst überhaupt nichts zu sagen«, hatte Edie ihrer Tochter zugeflüstert und sich dann mit lauter Stimme an die versammelte Gesellschaft gewandt: »Ja, das ist nur eine einfache kleine, alkoholfreie Bowle, nichts Besonderes, nur das, was wir hier zu Weihnachten trinken. Mary Grace! Katherine! Möchtet ihr nicht einen Schluck trinken?«
»Oh, Edith...« Und die Chordamen drängten heran. »Sieht das nicht entzückend aus ... Ich weiß nicht, woher du die Zeit nimmst ...«
»Edith ist eine so tüchtige Gastgeberin, sie kann so was im Handumdrehen auf die Beine stellen.« Das war Cousine Lucinda, die jetzt anmarschiert kam, die Hände in den Rocktaschen vergraben.
»Oh, für Edith ist das nicht schwer«, hörte manAdelaide mit dünner Stimme sagen. »Sie hat einen Gefrierschrank.«
Edie hatte die Kränkung ignoriert, ein paar der Damen einander vorgestellt und sich dann zurückgezogen. Charlotte brauchte man nur zu sagen, was sie tun sollte, dann fehlte ihr nichts, solange keine unabhängigen Gedanken oder Entscheidungen verlangt wurden. Eigentlich war Robins Tod ein doppelter Verlust gewesen, denn sie hatte auch Charlotte verloren, ihre geschäftige, gescheite Tochter, die sich so tragisch verändert hatte. Der Schicksalsschlag hatte sie vernichtet. Natürlich kam man über so etwas nie hinweg, aber es war jetzt zehn Jahre her. Man riss sich doch irgendwie zusammen, blickte nach vorn. Wehmütig dachte Edie an Charlottes
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