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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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unsichtbar in Augenhöhe baumelte?
    Das Gespenstische an dieser Sache verfolgte ihn. Seine Gedanken drehten sich rundherum in immer derselben nutzlosen Schiene (wie der Türknopf an seinem Schlafzimmer, der sich ganz leicht drehen und drehen und drehen ließ, ohne dass die Tür sich öffnete), und das Einzige, was ihn jetzt daran hinderte, das Schulfoto sofort wieder aus der Brieftasche zu nehmen und anzuschauen, war der Umstand, dass Farish vor ihm stand.
    Danny starrte ins Leere und hatte plötzlich (wie es oft passierte, seit er das Schlafen aufgegeben hatte) einen lähmenden Tagtraum: Wind wehte über eine Fläche, die aussah wie Schnee oder Sand – und in weiter Ferne eine verschwommene Gestalt. Er dachte, es sei sie, und ging auf sie zu, näher und näher, bis er erkannte, dass sie es nicht war, dass da überhaupt nichts vor ihm war, nichts als leerer Raum. Wer war dieses verdammte
Mädchen? Erst gestern hatten irgendwelche Kinderfrühstücksflocken mitten auf Gums Küchentisch gestanden – irgendein Zeug, das Curtis gern aß, in einer bunten Schachtel – , und Danny war auf dem Weg zum Klo wie angewurzelt stehen geblieben und hatte die Schachtel angestarrt, denn darauf war ihr Gesicht. Sie! Blasses Gesicht, schwarzer Topfschnitt, über eine Schale mit Frühstücksflocken gebeugt, die einen magischen Glanz auf das gesenkte Gesicht warf. Und rings um ihren Kopf schwebten Feen und Glitzerfunken. Er sprang zum Tisch, packte die Schachtel und sah verwirrt, dass sie es gar nicht war (nicht mehr), sondern ein anderes Kind, ein Kind, das er aus dem Fernsehen kannte.
    In seinen Augenwinkeln pufften winzige Explosionen, lauter kleine Blitzlichter. Und plötzlich erkannte er – und fuhr zurück in seinen Körper, saß blitzartig, schweißnass, wieder auf den Stufen vor seinem Trailer: Wenn sie durch die rätselhaften Dimensionen, aus denen sie kam, in seine Gedanken schlüpfte, dieses Mädchen, dann ging ihr etwas voraus, das große Ähnlichkeit mit einer geöffneten Tür hatte, durch die ein leuchtender Wirbel hereinwehte. Lichtpunkte, glitzernde Stäubchen, wie Tiere unter einem Mikroskop – Meth-Käfer, das wäre die wissenschaftliche Erklärung, denn jedes Jucken, jeder Gänsehautpickel, jedes mikroskopische Fleckchen und Körnchen, das dir über die müden alten Augäpfel schwamm, war wie ein lebendiges Insekt. Aber die Kenntnis des wissenschaftlichen Hintergrunds machte die Sache nicht weniger real. Am Ende krochen Käfer über jede vorstellbare Oberfläche, lange, fließende Kolonnen, die sich über die Maserung der Bodendielen schlängelten. Käfer auf der Haut, die du nicht abwischen konntest, obwohl du dir die Haut wund scheuertest. Käfer in deinem Essen. Käfer in deiner Lunge, in deinen Augäpfeln, ja, in deinem sich windenden Herzen. Seit neuestem legte Farish immer eine Papierserviette (mit einem Trinkhalm durchbohrt) auf sein Glas mit Eistee, um die unsichtbaren Schwärme fern zu halten, die er beständig von seinem Gesicht und seinem Kopf wischte.
    Und auch Danny hatte solche Biester – nur, dass seine gottlob
keine bohrenden und kriechenden Käfer waren, keine Maden und Termiten der Seele, sondern Glühwürmchen. Auch jetzt, am helllichten Tag, flackerten sie an den Rändern seines Gesichtsfelds. Staubkörnchen, wahrgenommen als elektronische Explosionen: Funkeln, Funkeln überall. Die Chemikalien hatten von ihm Besitz ergriffen, sie hatten jetzt die Oberhand; es waren Chemikalien – rein, metallisch, präzise –, die als Dampf an die Oberfläche kochten und das Denken und Sprechen und sogar das Sehen übernahmen.
    Deshalb denke ich wie ein Chemiker , dachte er und war benommen von der Klarheit dieser einfachen Feststellung.
    Er ruhte im schneeweißen Fallout der Funken, die bei dieser Offenbarung um ihn herum niedergingen, als ihm mit Schrecken bewusst wurde, dass Farish mit ihm redete, und das schon seit einer ganzen Weile.
    »Was?« Schuldbewusst fuhr er zusammen.
    »Ich sage, du weißt doch, wofür das mittlere d in Radar steht«, sagte Farish. Er lächelte, aber sein Gesicht war rot versteinert, und das Blut staute sich darin.
    Danny war entsetzt über diese irrwitzige Herausforderung, über das Grauen, das sich so tief selbst in den harmlosesten Kontakt mit seiner eigenen Verwandtschaft geschlichen hatte. Er richtete sich auf und drehte mit krampfhaftem Ruck den Körper zur Seite, um in der Tasche nach Zigaretten zu wühlen, obwohl er wusste, dass er keine hatte.
    »Detection .

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