Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
ich mich schäme?«
    Pem lachte. »Du bist tough, Harriet«, sagte er. »Du bist in Ordnung. Aber ich sage euch, ihr habt sie nicht alle, mit eurer Astgabel. Was ihr braucht, ist ein Stück Aluminiumrohr, und da zieht ihr eine Wäscheleine durch, wie ’ne Schlinge; die braucht ihr der Schlange nur über den Kopf zu streifen und stramm zu ziehen. Schon habt ihr sie. Dann könnt ihr sie in einem Glas im Biologieunterricht ausstellen und richtig Eindruck machen.« Flink schoss sein rechter Arm zur Seite und boxte Hely auf den Kopf. »Stimmt’s?«
    »Halt die Klappe!«, kreischte Hely und rieb sich wütend das Ohr. Pem ließ ihn nie vergessen, wie er einmal einen Schmetterlingskokon für die Bio-Ausstellung mit in die Schule gebracht hatte. Sechs Wochen lang hatte er ihn gepflegt, Bücher gelesen, Notizen gemacht, auf die richtige Temperatur geachtet und alles getan, was nötig war, aber als er am Tag der Ausstellung mit der noch nicht ausgeschlüpften Larve – behutsam auf ein Stück Watte in eine Schmuckschachtel gebettet  – in die Schule gekommen war, hatte sich herausgestellt, dass es kein Kokon war, sondern ein versteinerter Katzenköttel.
    »Vielleicht hast du nur gedacht, du hättest eine Mokassinschlange gefangen.« Lachend übertönte Pem den heißen Schwall von Beschimpfungen, den Hely auf ihn losließ. »Vielleicht war es überhaupt keine Schlange. Ein dickes, frisches Stück Hundescheiße, schön zusammengerollt im Gras, sieht ja genauso aus wie ...«
    »Wie du« , schrie Hely und hämmerte mit den Fäusten auf die Schulter seines Bruders.

    »Ich habe gesagt, lass es gut sein, okay?«, sagte Hely jetzt ungefähr zum zehnten Mal.
    Er und Harriet hielten sich am tiefen Ende des Pools an der Beckenkante fest. Die Nachmittagsschatten wurden länger. Fünf oder sechs kleine Kinder ignorierten eine dicke, aufgeregte Mutter, die am Rand hin und her lief und sie anflehte herauszukommen, und schrien und planschten am flachen Ende herum. An der Seite, an der sich die Bar befand, lagen ein paar High-School-Mädchen in Bikinis in Liegestühlen; sie hatten Handtücher über den Schultern und kicherten und schwatzten. Pemberton hatte keinen Dienst. Hely ging fast nie schwimmen, wenn Pem als Bademeister arbeitete, denn Pem hackte auf ihm herum und schrie Beschimpfungen und unfaire Kommandos von seinem hohen Stuhl (zum Beispiel »Nicht rennen am Beckenrand!«, wenn Hely überhaupt nicht rannte, sondern bloß schnell ging), und deshalb kontrollierte er sorgfältig Pems Wochenplan, der mit Klebstreifen am Kühlschrank befestigt war, bevor er zum Pool ging. Und das ging ihm auf die Nerven, denn im Sommer wollte er eigentlich jeden Tag schwimmen gehen.
    »Blödmann«, knurrte er, als er an Pem dachte. Er war immer noch wütend, weil Pem von dem Katzenköttel auf der Bio-Ausstellung gesprochen hatte.
    Harriet schaute ihn ausdruckslos, beinahe fischartig an. Ihr Haar klebte flach und glatt am Schädel, und die flimmernden Rinnsale aus Licht, die sich kreuz und quer über ihr Gesicht zogen, ließen sie kleinäugig und hässlich aussehen. Hely war schon den ganzen Nachmittag gereizt, und ohne dass er es merkte, waren Verlegenheit und Unbehagen zu Groll geworden, und jetzt wurde er plötzlich wütend. Auch Harriet hatte über die Katzenscheiße gelacht, genau wie die Lehrer und die Preisrichter und alle anderen auf der Ausstellung, und die bloße Erinnerung daran ließ ihn wieder kochen vor Zorn.
    Sie schaute ihn immer noch an. Er machte Glotzaugen. »Was guckst du so?«, fragte er.
    Harriet stieß sich vom Beckenrand ab und machte einen ziemlich demonstrativen Unterwassersalto rückwärts. Na toll, dachte Hely; als Nächstes würde sie sehen wollen, wer am längsten unter Wasser die Luft anhalten konnte, ein Spiel, das er verabscheute, weil sie gut darin war und er nicht.
    Als sie wieder auftauchte, tat er so, als merke er nicht, dass sie sich ärgerte. Lässig bespritzte er sie mit Wasser – ein wohl gezielter Strahl, der sie genau ins Auge traf.
    »Da liegt mein toter Hund, den ich nicht gesehen hab«, sang er mit einer zuckersüßen Stimme, von der er wusste, dass sie sie nicht ausstehen konnte.
    »Ein Bein ist nicht gesund, und das andere ist ab...«
    »Dann kommst du morgen eben nicht mit. Ich gehe lieber allein.«
    »Das dritte Bein ist überall verstreut...«, sang Hely über sie hinweg und starrte mit hingerissenem Schmalzblick in die Luft.
    »Mir ist es egal, ob du mitkommst oder nicht.«
    »Ich falle wenigstens

Weitere Kostenlose Bücher