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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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von dem Aktenkoffer mit Kugeln und Tränengas aus Liebesgrüße aus Moskau reden hörte.
    Sie schloss die Augen und sagte: »Hör zu, du hast die Schlange zu tief angefasst. Sie hätte dich gebissen.«
    »Halt die Klappe!«, schrie Hely nach einer kurzen, erzürnten Pause. »Es ist deine Schuld. Ich hatte sie. Wenn du nicht...«
    »Pass auf. Hinter dir.«
    »Mokassin?« Er sank in die Hocke und riss sein Gewehr herum. »Wo?«
    »Da«, sagte Harriet. Entnervt machte sie einen Schritt nach
vorn und streckte den Zeigefinger aus. »Da. « Blind pendelte der spitze Kopf in die Höhe – entblößte die fahle Unterseite des muskulösen Kiefers – und sank mit einer fließenden Bewegung wieder herab.
    »Mann, das ist doch bloß ’ne kleine«, sagte Hely enttäuscht und beugte sich vor, um sie zu betrachten.
    »Es kommt nicht drauf an, wie – hey!« Unbeholfen hüpfte sie zur Seite, als die Schlange wie ein roter Blitz auf ihren Knöchel zustieß.
    Ein Regen von gekochten Erdnüssen prasselte an ihr vorbei, und dann segelte die ganze Erdnusstüte über ihre Schulter und klatschte auf den Boden. Harriet taumelte, sie war aus dem Gleichgewicht geraten und sprang auf einem Bein umher, als der Kupferkopf (dessen Position sie für einen Moment aus den Augen verloren hatte) noch einmal zustieß.
    Ein Luftgewehrkügelchen schwirrte harmlos gegen ihren Turnschuh. Ein zweites traf sie stechend an der Wade, und sie jaulte auf und sprang zurück, als die Kügelchen vor ihren Füßen in den Staub fuhren. Aber die Schlange war jetzt in Erregung geraten und trieb ihren Angriff trotz Beschuss energisch voran; sie stieß auf ihre Füße zu, wieder und wieder, mit unerbittlicher Zielsicherheit.
    Schwindlig, halb von Sinnen, hastete sie auf die Straße. Sie schmierte sich mit dem Unterarm durchs Gesicht (transparente Kleckse pulsierten fröhlich vor ihren sonnengeblendeten Augen, stießen zusammen und verschmolzen wie vergrößerte Amöben in einem Tropfen Teichwasser), und als sie wieder sehen konnte, erkannte sie, dass die kleine Schlange den Kopf erhoben hatte und sie aus anderthalb Schritt Abstand betrachtete, ohne Überraschung, ohne Regung.
    In seiner Panik hatte Hely das Luftgewehr verklemmt. Unter sinnlosem Geschrei warf er es weg und rannte los, um den Stock zu holen.
    »Warte.« Mit Mühe raffte sie sich auf und riss sich los vom eisigen Blick der Schlange. Was ist los mit mir?, dachte sie und stolperte kraftlos mitten auf die flimmernde Straße, Hitzschlag?
    »O Gott.« Helys Stimme, sie wusste nicht, woher. »Harriet?«
    »Warte.« Fast ohne zu wissen, was sie tat (ihre Knie waren locker und unbeholfen, als gehörten sie einer Marionette, die sie nicht bedienen konnte), trat sie noch einen Schritt zurück, und dann setzte sie sich schwer auf den heißen Asphalt.
    »Alles okay, Mann?«
    »Lass mich in Ruhe«, hörte Harriet sich sagen.
    Die Sonne brutzelte rot durch ihre geschlossenen Lider. Der Nachglanz der Schlangenaugen leuchtete dahinter, in bösartigem Negativ-Schwarz die Iris, die geschlitzten Pupillen in Säuregelb. Sie atmete durch den Mund, und der Geruch ihrer vom Kloakenwasser getränkten Hose war so stark, dass sie ihn schmecken konnte. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie auf dem Boden nicht in Sicherheit war; sie versuchte, sich aufzurappeln, aber der Boden glitt immer wieder unter ihr weg ...
    »Harriet!« Helys Stimme, aus weiter Ferne. »Was ist los? Du machst mir Angst!«
    Sie blinzelte; das weiße Licht brannte, als sei ihr Zitronensaft in die Augen gespritzt. Es war grässlich, so erhitzt zu sein, so blind, so gefühllos in Armen und Beinen...
    Als Nächstes merkte sie, dass sie auf dem Rücken lag. Der Himmel gleißte in wolkenlosem, herzlosem Blau. Die Zeit schien einen halben Takt ausgesetzt zu haben, als sei sie eingedöst und im selben Augenblick mit einem jähen Ruck des Kopfes aufgewacht. Eine massige Erscheinung verdunkelte ihr Gesichtsfeld. Voller Panik riss sie sich beide Arme vors Gesicht, aber die über ihr schwebende Dunkelheit verlagerte sich nur und drängte desto beharrlicher von der anderen Seite heran.
    »Komm schon, Harriet. Es ist nur Wasser.« Sie hörte die Worte von weit weg und hörte sie doch nicht. Als dann völlig unerwartet etwas Kaltes ihren Mundwinkel berührte, suchte Harriet ihm strampelnd zu entkommen, und sie schrie, so laut sie konnte.

    »Ihr zwei seid bescheuert«, sagte Pemberton. »Mit dem Fahrrad in diese beschissene Gegend zu fahren. Es müssen fast vierzig Grad

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