Der kleine Freund: Roman (German Edition)
sein.«
Harriet lag flach auf dem Rücken hinten in Pems Cadillac und sah, wie der Himmel durch ein kühles Spitzengeflecht aus Baumästen über ihr dahinzog. Die Bäume bedeuteten, dass sie das schattenlose Oak Lawn hinter sich gelassen hatten und wieder auf der guten alten County Line Road waren.
Sie schloss die Augen. Laute Rockmusik plärrte aus den Stereolautsprechern; Schattenflecken – sporadisch, flatternd – huschten über das Rot ihrer geschlossenen Lider.
»Die Tennisplätze sind völlig verlassen«, sagte Pem durch den Wind und die Musik. »Nicht mal im Pool ist jemand. Alle sitzen im Clubhaus und gucken Liebe, Lüge, Leidenschaft.«
Das Kleingeld für das Telefon hatte sich als nützlich erwiesen. Hely war – äußerst heldenhaft, denn Panik und Sonnenstich waren bei ihm fast so schlimm wie bei Harriet – auf sein Fahrrad gesprungen und trotz seiner Mattigkeit und der Krämpfe in den Beinen fast eine halbe Meile weit zu dem Münztelefon auf dem Parkplatz des Jiffy Kwik Mart gestrampelt. Aber für Harriet war das Warten höllisch gewesen: Sie hatte vierzig Minuten lang ganz allein auf den Asphalt am Ende der schlangenverseuchten Stichstraße gebraten, und jetzt war sie zu durchgeglüht und benommen, um besondere Dankbarkeit zu empfinden.
Sie richtete sich auf, gerade so weit, dass sie Pembertons Haare sehen konnte: Krauslockig von den Chemikalien im Poolwasser, flatterte es nach hinten wie eine zerfranste Fahne. Noch auf dem Rücksitz konnte sie seinen scharfen und entschieden erwachsenen Geruch wahrnehmen: Schweiß, stechend und maskulin unter der Kokosnuss-Sonnenmilch, vermischt mit Zigaretten und so etwas wie Weihrauch.
»Wieso wart ihr so weit draußen in Oak Lawn? Kennt ihr da jemanden?«
»Nein«, sagte Hely in dem monotonen, gelangweilten Tonfall, in den er vor seinem Bruder verfiel.
»Was habt ihr denn dann gemacht?«
»Schlangen gesucht, um – lass das« , fauchte er, und seine Hand flog hoch, als Harriet ihn an den Haaren riss.
»Na, wenn ihr eine Schlange fangen wollt, dann ist das die
richtige Gegend«, sagte Pemberton träge. »Wayne, der im Country Club die Wartungsarbeiten macht, hat mir erzählt, dass sie da draußen für irgendeine Lady einen Pool angelegt haben, und dabei haben sie fünf Dutzend Schlangen totgeschlagen. In einem einzigen Garten.«
»Giftschlangen?«
»Wen interessiert das? Ich würde nicht für eine Million Dollar in diesem Höllenloch wohnen wollen«, sagte Pemberton und warf dabei verächtlich, fürstlich, den Kopf in den Nacken. »Derselbe Typ, Wayne, sagt, dass der Kammerjäger dreihundert Stück unter einem dieser beschissenen Häuser gefunden hat. Unter einem einzigen Haus. Sobald es da mal ’ne Überschwemmung gibt, die das Pioniercorps nicht mehr mit Sandsäcken eindämmen kann, wird da draußen jede grüne Witwe in Stücke gebissen.«
»Ich hab eine Mokassinschlange gefangen«, sagte Hely selbstgefällig.
»Na klar. Und was hast du damit gemacht?«
»Hab sie wieder laufen lassen.«
»Darauf wette ich.« Pemberton warf ihm einen Seitenblick zu. »Ist sie dir nachgekommen?«
»Nein.« Hely rutschte tiefer in seinen Sitz.
»Na, mir ist egal, was die Leute über Schlangen erzählen. Dass sie mehr Angst haben vor dir als du vor ihnen. Wassermokassinschlangen sind bösartig. Die haben’s auf deinen Arsch abgesehen. Einmal hat mich und Tink Pittmon auf dem Oktobeha Lake eine Riesenmokassinschlange angegriffen, und ich meine, wir waren nicht mal in ihrer Nähe, sie ist uns quer über den See nachgeschwommen.« Pem machte eine schnelle Schlängelbewegung mit der Hand. »Im Wasser sah man bloß das aufgerissene weiße Maul. Und dann, bamm bamm , ist sie wie ein Rammbock mit dem Kopf gegen das Aluminiumkanu gedonnert. Die Leute haben auf dem Pier gestanden und zugesehen.«
»Und was habt ihr gemacht?« Harriet saß jetzt aufrecht und lehnte sich über den Vordersitz.
»Na, da bist du ja, Tiger. Ich dachte schon, wir müssten dich
zum Arzt bringen.« Pems Gesicht im Rückspiegel überraschte sie: kalkweiß die Lippen, und weiße Sonnencreme auch auf der Nase. Ein tiefer Sonnenbrand, der sie an Scotts Polarforscher mit ihren erfrorenen Gesichtern erinnerte.
»Du gehst also gern auf Schlangenjagd?«, sagte er zu Harriets Spiegelbild.
»Nein«, antwortete Harriet. Seine verwunderte Fragerei machte sie trotzig und verwirrte sie zugleich, und sie ließ sich wieder in den Rücksitz fallen.
»Ist kein Grund, sich zu schämen.«
»Wer sagt, dass
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