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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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nicht um und schreie wie ein dickes fettes Baby.« Er klapperte mit den Augendeckeln. »Oh, Hely! Rette mich, rette mich!«, krähte er mit einer schrillen Stimme, sodass die High-School-Mädchen auf der anderen Seite des Pools zu lachen anfingen.
    Ein Schwall Wasser klatschte ihm ins Gesicht.
    Er schlug fachmännisch mit der Faust auf das Wasser und bespritzte sie, und dann duckte er sich unter ihrem Gegenspritzer hinweg. »Harriet. Hey, Harriet«, sagte er mit Babystimme. Es erfüllte ihn mit unerklärlicher Genugtuung, dass er sie aufgebracht hatte. »Lass uns Pferdchen spielen, okay? Ich bin das vordere Ende, und du bist du selbst.«
    Triumphierend stieß er sich ab und schwamm der Vergeltung entrinnend in die Mitte des Beckens hinaus, schnell und mit lautem Geplantsche. Er hatte einen schlimmen Sonnenbrand, und das Chlorwasser brannte wie Säure in seinem Gesicht, aber er hatte an diesem Nachmittag fünf Coca-Cola getrunken
(drei, als er ausgedörrt und erschöpft nach Hause gekommen war, und noch einmal zwei, mit zerstoßenem Eis und bunt gestreiften Strohhalmen, von dem Getränkestand am Schwimmbecken); in seinen Ohren rauschte es, und der Zucker trillerte hoch und schnell in seinem Puls. Er fühlte sich beschwingt. Schon oft hatte Harriets Verwegenheit ihn beschämt. Aber obwohl die Schlangenjagd ihn vorübergehend wirr und hirnrissig vor Angst hatte werden lassen, frohlockte doch immer noch irgendetwas in ihm über ihren Ohnmachtsanfall.
    Überschwänglich brach er durch die Oberfläche, prustend und Wasser tretend. Als er ein paarmal gezwinkert hatte, um das Brennen in seinen Augen zu lindern, erkannte er, dass Harriet nicht mehr im Pool war. Dann entdeckte er sie weit hinten; sie ging mit schnellen Schritten und gesenktem Kopf auf den Damenumkleideraum zu und hinterließ eine Zickzackspur von nassen Fußabdrücken auf dem Zement.
    »Harriet!«, rief er, und diese Achtlosigkeit ließ ihn einen ordentlichen Schwall Wasser schlucken, denn er hatte vergessen, dass er bis über die Ohren drinsteckte.

    Der Himmel war taubengrau und die Abendluft schwer und mild. Draußen vor dem Club hörte Harriet immer noch leise das Geschrei der Kinder im flachen Wasser des Schwimmbeckens. Ein leichter Wind überzog ihre Arme und Beine mit Gänsehaut. Sie raffte sich das Handtuch fester um die Schultern und machte sich eilig auf den Heimweg.
    Ein Auto voller High-School-Girls kam mit kreischenden Reifen um die Ecke. Es waren die Mädchen aus Allisons Klasse, die sämtlichen Clubs vorstanden und sämtliche Wahlen gewannen: die kleine Lisa Leavitt, Pam McCormick mit ihrem dunklen Pferdeschwanz, Ginger Herbert, die die Beauty Revue gewonnen hatte, und Sissy Arnold, die nicht so hübsch war wie die andern, aber genauso beliebt. Ihre Gesichter – wie die von Filmstarlets, von den unteren Klassen einhellig angebetet – lächelten von praktisch jeder Seite des Jahrbuchs. Da sah man sie,
triumphierend, auf dem vom Flutlicht gelb überstrahlten Rasen des Footballfeldes, in Cheerleader-Uniform, mit Majoretten-Tressen, in Handschuhen und Talaren beim Homecoming, außer sich vor Lachen auf einem Festumzug (die Favorites) oder begeistert durcheinander purzelnd auf dem September-Heuwagen (die Sweethearts), und trotz der wechselnden Kostüme, hier sportlich, da salopp, dort formell, waren sie wie Puppen mit stets dem gleichen Lächeln und der gleichen Frisur.
    Keine von ihnen beobachtete Harriet. Sie starrte vor sich auf den Gehweg, als die Mädchen in einem klingenden Kometenschweif von Popmusik vorüberschossen, und ihre Wangen brannten vor Wut und rätselhafter Scham. Wenn Hely bei ihr gewesen wäre, da war sie fast sicher, hätten sie gebremst und etwas gerufen, denn Lisa und Pam waren beide in Pemberton verknallt. Aber sie wussten wahrscheinlich gar nicht, wer Harriet war, obwohl sie seit dem Kindergarten mit Allison in derselben Klasse waren. Über Allisons Bett zu Hause hing eine Collage aus fröhlichen Kinderfotos: Allison spielte »London Bridge« mit Pam McCormick und Lisa Leavitt. Allison und Ginger Herbert: rotnasig, lachend, die allerbesten Freundinnen, Händchen haltend in irgendeinem winterlichen Garten. Säuberlich gemalte Valentinskärtchen aus der ersten Klasse: »2 kisses 4 you. In Liebe – Ginger!!!« So viel Zuneigung in Einklang zu bringen mit der heutigen Allison und der heutigen Ginger (behandschuht, mit glänzendem Lippenstift, in Chiffon unter einem Bogen aus Kunstblumen) war unvorstellbar. Allison war nicht

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