Der kleine Freund: Roman (German Edition)
seinen Glauben lebte und der sein Leben für Christus opferte wie die Märtyrer in alter Zeit. Aber genau bei diesem Gedanken wurden sie völlig unerwartet von einem Klopfen an der Tür gestört, einer Serie von kurzen, flotten Lauten: tap tap tap tap.
Eugene hob seinem Besucher ruckartig das Kinn entgegen, und ihre Blicke trennten sich. Einige Augenblicke lang war alles still; man hörte nur ihr Atmen und das trockene, wispernde Rasseln aus den Dynamitkisten – ein scheußliches Geräusch, so zart, dass Eugene es bis jetzt gar nicht wahrgenommen hatte.
Tap tap tap tap. Wieder klopfte es, pedantisch, selbstgefällig – Roy Dial, ganz sicher. Eugene hatte die Miete bezahlt, aber Dial war der geborene Vermieter, der es nicht unterlassen konnte, sich einzumischen, und er kam oft unter diesem oder jenem Vorwand, um herumzuschnüffeln.
Der junge Reese legte Eugene eine Hand auf den Arm. »Ein Sheriff in Franklin County hat einen Haftbefehl gegen mich«, sagte er Eugene ins Ohr. Sein Atem roch nach Heu. »Mein Daddy und fünf andere sind da vorgestern Nacht verhaftet worden, wegen öffentlicher Ruhestörung.«
Eugene hob beruhigend die Hand, aber jetzt rüttelte Mr. Dial heftig am Türknopf. »Hallo? Jemand zu Hause?« Tap tap tap tap. Einen Moment lang war es wieder still, und dann hörte Eugene zu seinem Entsetzen, wie ein Schlüssel sich verstohlen im Schloss drehte.
Er flüchtete ins hintere Zimmer und sah gerade noch, wie die Türkette die sich behutsam öffnende Tür aufhielt.
»Eugene?« Der Türknopf ratterte. »Ist da jemand drin?«
»Ähm, tut mir Leid, Mr. Dial, aber Sie kommen gerade ungünstig«, rief Eugene in einem höflichen, unverbindlichen Ton, wie er ihn bei Rechnungseintreibern und Polizisten benutzte.
»Eugene! Hallo, mein Freund! Hören Sie, ich verstehe, was Sie meinen, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir ein Wörtchen miteinander reden könnten.« Die Spitze eines schwarzen Flügelkappenschuhs schob sich durch den Türspalt. »Okydoke? Eine halbe Sekunde.«
Eugene schlich sich heran und neigte ein Ohr zur Tür. »Äh, was kann ich für Sie tun?«
»Eugene.« Wieder ratterte der Türknopf. »Eine halbe Sekunde, und Sie sind mich los.«
Er sollte selber Prediger werden, dachte Eugene verdrossen. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und sagte so umgänglich und geschmeidig, wie er nur konnte: »Äh, es tut mir wirklich Leid, dass ich Ihnen das antun muss, aber Sie erwischen mich wirklich in einem schlechten Moment, Mr. Dial. Ich bin gerade mitten in meinem Bibelstudium.«
Nach kurzem Schweigen ertönte Mr. Dials Stimme wieder. »Na schön. Aber Eugene – Sie sollten den ganzen Müll nicht vor fünf Uhr nachmittags an den Randstein rausstellen. Wenn ich eine Vorladung bekomme, mache ich Sie verantwortlich.«
»Mr. Dial.« Eugene blickte starr auf den »Little Igloo«-Kühlkoffer, der auf dem Küchenboden stand. »Ich sag’s nicht gerne, aber ich glaube, der Müll da draußen gehört den Mormonenjungs.«
»Wem er gehört, ist nicht mein Problem. Die Müllabfuhr will das Zeug nicht vor fünf Uhr draußen haben.«
Eugene warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Fünf Minuten vor fünf, du Baptistenteufel. »Okay. Ich werd’s im Auge behalten, ehrlich.«
»Danke! Ich wäre wirklich dankbar, wenn wir uns in dieser Sache gegenseitig helfen könnten, Eugene. Ach, übrigens – ist Jimmy Dale Ratliff Ihr Cousin?«
Nach einer argwöhnischen Pause antwortete Eugene: »Zweiten Grades.«
»Ich kann seine Telefonnummer nicht auftreiben. Könnten Sie sie mir geben?«
»Jimmy Dale und die andern da draußen haben kein Telefon.«
»Wenn Sie ihn sehen, Eugene, könnten Sie ihm bitte sagen, er soll bei mir im Büro vorbeikommen? Wir müssten uns mal kurz über die Finanzierung seines Fahrzeugs unterhalten.«
In der Stille, die darauf folgte, sann Eugene darüber nach, wie Jesus die Tische der Geldwechsler umgeworfen und die Händler aus dem Tempel vertrieben hatte. Mit Rindern und Ochsen hatten sie gehandelt, den Autos und Lastwagen biblischer Zeiten.
»Okay?«
»Ja, mach ich, Mr. Dial.«
Eugene lauschte Mr. Dials Schritten, als er die Treppe hinunterging, langsam erst und auf halber Höhe innehaltend, ehe sie dann flotter wurden. Er schlich sich zum Fenster. Mr. Dial ging nicht schnurstracks zu seinem Wagen (einem Chevy Impala mit Händlernummernschildern), sondern blieb noch
ein paar Minuten vor dem Haus, wo Eugene ihn nicht sehen konnte. Wahrscheinlich, um Loyals Pick-up
Weitere Kostenlose Bücher