Der Knochenbrecher
schweigen. Irgendwann muss er etwas sagen. Was wäre das? Womit würde er Ihr Herz erobern?«
»Es gibt nichts Bestimmtes, was er sagen oder tun müsste. Dazu würde ich Ihnen gerne meine LieblingsliebesÂgeÂschichte erzählen.«
»Ich bin gespannt.«
»Als junges Mädchen hat meine GroÃmutter als Blumenmädchen auf einem StraÃenmarkt angefangen, in Perm in der ehemaligen Sowjetunion. Mein GroÃvater war zur selben Zeit bei einem Schneider angestellt, nur wenige StraÃen vom Markt entfernt. Er hat sie an ihrem ersten Arbeitstag gesehen und sich sofort Hals über Kopf in sie verliebt. Mein GroÃvater war ein sehr attraktiver Mann, aber er war auch unheimlich schüchtern. Es hat sage und schreibe sechzig Tage gedauert, bis er sich getraut hat, sie anzusprechen.«
»Sechzig?«, fragte der Moderator.
»Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit ist er an ihrem Stand vorbeigekommen. Jeden Morgen hat er sich ganz fest vorgenommen, sie anzusprechen. Und jeden Morgen hat er bei ihrem Anblick plötzlich kein Wort mehr herausgebracht. Statt etwas zu sagen, ist er stumm an ihr vorbeigelaufen.«
»Und was ist dann passiert?«
»Was mein GroÃvater nicht wusste, war, dass sich meine GroÃmutter auch in ihn verliebt hatte. Jeden Tag sah sie, wie er an ihrem Blumenstand vorbeiging, und jeden Tag hat sie gehofft, dass er sie jetzt endlich um ein Rendezvous bitten würde. Und dann hat er tatsächlich eines Morgens seinen ganzen Mut zusammengenommen, ist zu meiner GroÃmutter gegangen, hat ihr in die Augen geschaut und fünf kleine Wörtchen herausgepresst: âºDu raubst mir den Atem.â¹Â«
Myers drückte auf Pause.
Hunter dachte an die Nachricht auf Katias AnrufbeÂantworter, die Myers ihm am Abend zuvor gegeben hatte. Die allerersten Worte, die Katias Entführer gesagt hatte, waren genau dieselben gewesen: DU RAUBST MIR DEN ATEM .
Und so wie Myers ihn ansah, ahnte Hunter, dass noch mehr kommen würde.
74
»Neunundfünfzig Tage lang ist er an dem Blumenstand vorbeigegangen, ohne ein Wort zu sagen«, verkündete Myers und sah Hunter vielsagend an. »Neunundfünfzig Nachrichten ohne ein Wort auf Katias Anrufbeantworter. Und ich bin mir sicher, dass Sie sich noch daran erinnern, wie die ersten fünf Worte der sechzigsten Nachricht lauten.«
Hunter nickte stumm.
»Der nächste relevante Teil kommt nach ein paar Werbepausen. Der Moderator bittet Katia, einige Hörerfragen zu beantworten, die per Telefon und per E-Mail eingegangen sind.« Sie drückte ein zweites Mal die Pausentaste, um die Aufnahme wieder zu starten. Sie begann mit herzhaftem Gelächter.
»Also gut«, sagte der Moderator. »Hier habe ich noch eine Frage von einem unserer Anrufer. Auch sie hat wieder mit Ihrer romantischen Ader zu tun und damit, was passiert, wenn Sie dem Prinzen Ihres Herzens gegenüberstehen.«
»Okay â¦Â«, sagte Katia zögerlich.
»Die Frage lautet: âºSie haben gesagt, dass Liebe nicht mit Worten oder ÃuÃerlichkeiten zu tun hat und dass Sie Ihren Seelengefährten erkennen würden, wenn Sie ihm begegnen â auch wenn es in einem Moment des Schweigens ist, so wie bei Ihren GroÃeltern. Mich würde interessieren, wie lang dieser Moment sein muss. Wie viel Schweigen brauchen Sie, bevor Sie sicher sind?â¹Â«
»Hmm.«
Gelächter vom Moderator. »Keine schlechte Frage. Also, wie lang ist dieser Augenblick? Wie schnell wissen Sie, ob der, der da vor Ihnen steht, der Richtige ist?«
Eine Pause folgte, während Katia über die Frage nachdachte. »Zwölf Sekunden«, lautete schlieÃlich ihre Antwort.
Hunters und Myersâ Blicke trafen sich, aber keiner der beiden sagte ein Wort.
»Zwölf Sekunden?«, fragte der Moderator. »Wieso ausgerechnet zwölf?«
»Na ja, wahrscheinlich wüsste ich es schon nach zehn, aber ich würde noch zwei Sekunden länger warten, nur zur Sicherheit.« Katia und der Moderator lachten.
»Das nenne ich eine schlagfertige Antwort«, meinte der Moderator.
Myers drückte auf Stopp. »Bevor Sie fragen â ich habe es schon nachgeprüft, der Sender hat keine Aufzeichnung darüber, wer der Anrufer mit der Frage war.«
»Wann wurde das Interview gesendet?«
»Vor acht Monaten, aber es wurde danach noch von verschiedenen anderen Sendern ausgestrahlt.« Myers holte ein Notizbuch
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