Der Knochenbrecher
wissen, wonach Sie eigentlich suchen.«
Hunter lächelte wie ertappt. »In Wahrheit suche ich ein Foto von einem Jungen, der hier vor längerer Zeit gewohnt hat.«
»Ein Foto von einem Jungen?« Rhondas Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig, und sie wich einen Schritt vom Tresen zurück.
»Nein, das haben Sie falsch verstanden. Ich bin Polizist, aus Los Angeles.« Hunter zückte seine Dienstmarke. »Uns interessiert ein Vorfall von vor zwanzig Jahren. Ich brauche nur ein paar Informationen dazu, mehr nicht. Ein Foto würde uns sehr helfen.«
Rhonda studierte erst die Marke, dann Hunters Gesicht. »Vor zwanzig Jahren?«
»Genau.«
Sie zögerte kurz. »Dann meinen Sie wohl die Sache mit den Harpers. Und wenn Sie nach einem Foto von einem Jungen suchen, dann muss das wohl Andrew Harper sein.«
»Sie kannten ihn?«
Sie zögerte. »Flüchtig. Ich war erst fünf, als es passiert ist, aber er war manchmal bei uns zum Spielen.«
»Wirklich? Wieso das?«
»Wir haben in derselben StraÃe gewohnt. Er und mein Bruder waren Freunde.«
»Wohnt Ihr Bruder noch hier?«
»M-hm. Er ist Buchhalter und hat sein Büro in der Stadt. Sie müssten auf dem Weg hierher dran vorbeigefahren sein.«
»Glauben Sie, ich könnte mich kurz mit ihm unterhalten?«
Erneut ein Zögern.
»Was er weià könnte uns wirklich sehr weiterhelfen«, drängte Hunter.
Rhonda musterte ihn eine Sekunde lang skeptisch.
»Klar, warum nicht.« Sie sah auf die Uhr. »Ein Vorschlag: Ich habe gleich Mittagspause. Warum komme ich nicht einfach mit und stelle Sie vor?«
96
Rhonda wünschte Mrs Collins im Vorzimmer des kleinen Steuerbüros ihres Bruders einen guten Tag und zeigte dann auf die Tür zu seinem Büro.
»Es ist doch niemand bei ihm, oder?«
Mrs Collins schüttelte freundlich lächelnd den Kopf.
»Ich glaube, er wollte gerade zum Mittagessen. Nur zu, gehen Sie einfach rein.«
Rhonda klopfte zweimal und öffnete die Tür, ohne das »Herein« abzuwarten.
Ricky war fast das genaue Gegenteil seiner Schwester. Er war groÃ, mit sorgfältig gekämmten Haaren und dem Körperbau eines Athleten. Er trug einen hellgrauen Anzug mit hellblauem Hemd und blau-rot-gemusterter Krawatte.
Die Vorstellung war rasch erledigt. Rickys Lächeln verschwand, kaum dass Rhonda ihm eröffnet hatte, weshalb sie mit Hunter zu ihm gekommen war.
»Tut mir leid, aber ich weià nicht, wie ich Ihnen da weiterhelfen soll«, sagte er und wirkte leicht verstört dabei. »Ich war zehn, als es passiert ist, und wir waren nicht mal hier, weiÃt du noch?« Diese Frage war an Rhonda gerichtet, die mit einem Nicken antwortete. »Es war während der WeihnachtsÂferien, und wir waren bei Grandma in Napa zu Besuch. Wir haben erst nach unserer Rückkehr davon erfahren.«
»Das verstehe ich, und ich will ja auch nicht über den Vorfall an sich reden. Mir ist klar, dass Sie darüber nicht viel wissen. Aber vielleicht könnten Sie mir ein bisschen über Andrew erzählen, das wäre wirklich sehr hilfreich. Rhonda hat mir gesagt, sie waren befreundet.«
Ricky sah seine Schwester missbilligend an. »Na ja, wenn man es so nennen will.« Er hob die Schultern. »Er ⦠hatte nicht so viele Freunde.«
»Wieso nicht?«
Neuerliches Schulterzucken. »Er war ziemlich still und schüchtern. Er hat lieber Zeit mit seinen Comics verbracht als mit Menschen.«
»Aber Sie haben doch öfter zusammen gespielt, oder?«
»Ja, hin und wieder, aber so oft nun auch wieder nicht. Er war ⦠irgendwie seltsam.«
Hunters Augen verengten sich. »Inwiefern?«
Ricky zögerte und sah auf die Uhr, bevor er zur Tür seines Büros ging und den Kopf hinaussteckte. »Mrs Collins, falls jemand anruft, ich bin in der Mittagspause.« Dann schloss er die Tür wieder hinter sich. »Setzen wir uns doch.«
Hunter nahm auf einem der zwei Stühle vor Rickys SchreibÂtisch Platz. Rhonda zog es vor, an die Fensterbank gelehnt stehen zu bleiben.
»Andrew war ⦠meistens ziemlich niedergeschlagen«, sagte Ricky und kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück.
»Hat er Ihnen gesagt, weshalb?«
»Seine Eltern haben sich oft gestritten, das hat ihm zugesetzt. Er hatte ein sehr enges Verhältnis zu seiner Mutter.«
»Zu seinem Vater
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