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Der Knochenbrecher

Der Knochenbrecher

Titel: Der Knochenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Carter
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angespannte Schweigen dehnte sich. Keiner rührte sich, keiner unterbrach den Blickkontakt. Doch aus Myers’ Augen war jede Spur von Wärme verschwunden.
    Hunter hatte alles über Whitney Myers’ letzten Fall beim LAPD gelesen.
    Vor einigen Jahren war Myers zu einem Hochhaus in Culver City gerufen worden. Ein zehnjähriger Junge hatte sich Zutritt zum Dach seines Wohnhauses verschafft und saß wenig später, achtzehn Stockwerke über dem Erdboden, auf der Dachkante. Der Junge, der auf den Namen Billy hörte, reagierte auf keine Ansprache, und verständlicherweise wagte niemand, sich ihm zu nähern. Seine Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er fünf Jahre alt gewesen war. Seitdem lebte er bei Tante und Onkel, denen man nach dem Tod seiner Eltern offiziell das Sorgerecht übertragen hatte. Am fraglichen Nachmittag waren sie ausgegangen, und Billy war allein zu Hause geblieben.
    Billy hatte keine psychischen Vorerkrankungen, jedoch sagten die wenigen Nachbarn, die ihn kannten, aus, dass er sehr in sich gekehrt und traurig wirke, nie lache und nie mit den anderen Kindern aus dem Haus spiele.
    Myers sah keine andere Möglichkeit, als in Missachtung der Dienstvorschrift alleine aufs Dach zu steigen, ohne auf Verstärkung zu warten.
    In dem Bericht, den Hunter gelesen hatte, stand, dass Myers keine zehn Minuten mit Billy auf dem Dach verbracht hatte, als dieser aufgestanden und gesprungen war.
    Myers war von dem Vorfall so mitgenommen, dass sie sich einige Zeit Urlaub nehmen musste, allerdings weigerte sie sich, die Hilfe eines Polizeipsychologen in Anspruch zu nehmen. Zwei Tage nach dem Suizid des Jungen stürzten sich Billys Onkel und Tante von demselben Dach in die Tiefe. Ihre Handgelenke waren mit Kabelbinder aneinander­gefesselt, und alles hätte auf einen Selbstmordpakt zweier von Trauer überwältigter Menschen hingedeutet – wäre da nicht der Umstand gewesen, dass drei Nachbarn gesehen hatten, wie eine Frau, auf die die Beschreibung von Whitney Myers passte, wenige Minuten nach dem Sprung der beiden das Gebäude verlassen hatte.
    Â»Peter und Angela Fairfax«, half Hunter ihr auf die Sprünge.
    Â»Ich weiß, wen Sie meinen.« Ihr Tonfall war hart.
    Â»Haben Sie sie vom Dach gestoßen?«
    Â»Was zum Teufel hat das mit der Sache hier zu tun?«
    Erst jetzt nahm Hunter einen Schluck von seinem Whisky. »Sie verlangen von mir, dass ich Informationen über eine laufende Ermittlung mit jemandem teile, den ich kaum kenne. Sie waren früher selbst bei der Polizei, Sie wissen also, dass das gegen die Vorschriften verstößt. Nicht dass ich ein Problem damit hätte, gegen Vorschriften zu verstoßen, wenn ich dadurch unserem Mörder einen Schritt näher komme. Womit ich ein Problem habe, ist Folgendes: Aus Ihrer Akte geht hervor, dass Sie möglicherweise zwei unschuldige Menschen aneinandergefesselt und sie vom Dach eines achtzehnstöckigen Hochhauses gestoßen haben. Wenn Sie eine gemeingefährliche Geisteskranke sind, ist unser Gespräch hiermit beendet.« Er zog Myers’ Privatermittler-Lizenz aus der Tasche und warf sie ihr hin. Sie machte keine Anstalten, sie an sich zu nehmen. Ihr Blick hätte ein Loch in Hunters Schädel brennen können.
    Â»Was glauben Sie denn?«
    Hunters linke Augenbraue zuckte in die Höhe.
    Â»In Ihrer Akte steht, dass Sie eine gute Menschenkenntnis besitzen. Also, ich will es wissen: Glauben Sie, ich wäre in der Lage, zwei unschuldige Menschen vom Dach eines Hochhauses zu stoßen?«
    Â»Ich bin nicht hier, um über Sie zu urteilen. Aber ich will die Wahrheit hören – von Ihnen, nicht aus einer Akte, die irgendein Ermittler der Innenrevision und ein Seelenklempner von der Polizei zusammen geschrieben haben.«
    Â»Und ich will zuerst hören, was Sie glauben.« Ihre Stimme war trotzig. »Glauben Sie, ich habe die beiden vom Dach gestoßen?«
    Myers’ berufliche Bilanz vor dem Vorfall war makellos. Sie hatte hart gearbeitet, um es in den Rang eines Detec­tives zu schaffen, und trug ihre Dienstmarke mit Stolz. Sie war gut, eine der Besten. Dafür war ihre Erfolgsquote der eindrückliche Beweis. Selbst nachdem sie den Polizeidienst quittiert und sich als private Ermittlerin selbständig gemacht hatte, leistete sie hervorragende Arbeit. Hunter wusste, dass Menschen wie sie nicht einfach aus heiterem Himmel

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