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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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nicht.«
    Berger nahm ein Exemplar von Tatorte zur Hand und blätterte darin, »Berühmte Tatorte. Da schau einer an.« Er lachte. »Wie viele Orte sind hier alles in allem aufgeführt, vierzig, fünfzig?«
    »Einundfünfzig,«
    Rhyme hatte - in Gedanken und in seiner Phantasie, da er das Buch nach dem Unfall verfaßt hatte - noch einmal alle möglichen alten Tatorte von New York City besucht, die ihm in den Sinn gekommen waren. Manche dieser Fälle waren aufgeklärt, andere nicht. Er hatte über die Old Brewery geschrieben, die berüchtigte Mietskaserne in Five Points, wo 1839 in einer einzigen Nacht dreizehn Morde geschehen waren, die in keinerlei Bezug zueinander standen. Über Charles Aubridge Deacon, der am 13. Juli 1863 - während der Unruhen wegen des im Bürgerkrieg erlassenen Wehrpflichtgesetzes - seine Mutter ermordete und anschließend behauptete, die Tat sei von ehemaligen Sklaven begangen worden, was den Volkszorn wider die Schwarzen schürte. Über den Mord an dem Architekten Stanford White, der vom eifersüchtigen Ehemann seiner Geliebten in dem von ihm entworfenen alten Madison Square Garden erschossen worden war, und über Richter Craters Verschwinden. Über George Metesky, den wahnwitzigen Bombenleger der fünfziger Jahre, und über Murph the Surf, der den Stern von Indien klaute, einen berühmten Diamanten.
    »Hausinstallationen im neunzehnten Jahrhundert, unterirdische Flüsse, Butlerschulen«, zitierte Berger, wahrend er in dem Buch blätterte, »Schwulenbadehäuser, Bordelle in Chinatown, russisch-orthodoxe Kirchen ... Wie haben Sie diese ganzen Einzelheiten aus der Stadtgeschichte in Erfahrung gebracht?«
    Rhyme zuckte die Achseln, Als Leiter der IRD hatte er sich jahrelang ebensosehr mit der Stadt wie mit Kriminalistik befaßt. Mit ihrer Geschichte, der Politik, der Geologie, ihrer sozialen Entwicklung und Infrastruktur. »Kriminalistik ist keine losgelöste Wissenschaft. Je mehr man über sein Umfeld weiß, desto besser kann man es verwerten -«
    Er brach jäh ab, sobald er feststellte, daß sich Begeisterung in seine Stimme mischte.
    War wütend über sich, weil er sich so leicht hatte hereinlegen lassen,
    »Guter Versuch, Dr. Berger«, sagte Rhyme steif.
    »Ach, kommen Sie. Nennen Sie mich Bill. Bitte.«
    Rhyme dachte nicht daran, sich von seinem Vorsatz abbringen zu lassen.»Ich habe das alles schon mal gehört. Nimm ein großes weißes Blatt Papier und schreib sämtliche Argumente auf, die für einen Selbstmord sprechen. Dann nimmst du ein anderes großes weißes Blatt Papier und schreibst alle Gegenargumente auf, Worte wie produktiv, nützlich, interessant, herausfordernd fallen einem da ein. Große Worte. Zehn Dollar das Stück. Mir bedeuten sie einen feuchten Kehricht. Außerdem könnte ich nicht mal einen Scheißstift in die Hand nehmen, um meine Seele zu retten.«
    »Lincoln«, fuhr Berger in aller Freundlichkeit fort, »ich muß mich davon überzeugen, daß Sie der geeignete Kandidat für das Programm sind.«
    »>KandidatProgramm    »Warum heute?«
    Rhyme blickte wieder auf die Flaschen und die Plastiktüte. »Warum nicht?« flüsterte er. »Was haben wir heute? Den dreiundzwanzigsten August? Ein guter Tag zum Sterben, so gut wie jeder andere auch.«
    Der Arzt tippte mit den Fingern an seine schmalen Lippen. »Ich muß mich eine gewisse Zeit mit Ihnen unterhalten. Wenn ich davon überzeugt bin, daß Sie den Schritt wirklich tun wollen -«
    »Ich will«, sagte Rhyme, und wie so häufig stellte er fest, wie schwach Worte klingen, wenn sie nicht von den entsprechenden Gesten begleitet werden. Er wünschte, er könnte Berger an den Arm fassen oder flehentlich die Hände heben.
    Ohne um Erlaubnis zu fragen, holte Berger eine Schachtel Marlboro heraus und steckte sich eine Zigarette an. Er zog einen zusammenklappbaren Metallaschenbecher aus der Tasche und öffnete ihn. Schlug seine dünnen Beine übereinander. Er wirkte wie ein stutzerhafter Studiosus beim Verbindungsabend einer Eliteuniversität. »Lincoln, Sie verstehen doch die Problematik, um die es hier geht, oder?«
    Klar verstand er die. Genau deswegen war Berger hier, und aus ebendiesem Grund waren Rhymes eigene Ärzte »nicht zu der Tat bereit«. Einen unvermeidlichen Tod zu beschleunigen war eine Sache - nahezu dreißig Prozent aller praktizierenden

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