Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
Doktorarbeit hatte Joanne trockene Knochen ohne anhaftendes Fleisch benutzt, aber nachdem sie den Titel besaß, machte sie weitere Versuche mit »grünen«, von frischem Fleisch umgebenen Knochen. Die Ergebnisse ließen darauf schließen, dass bei der Verbrennung einer frischen Leiche ein ganz anderes Bruchmuster entsteht: Grüne Knochen krümmen sich beim Brennen, sodass Querrisse häufig nicht einfach rund um den Schaft laufen, sondern Bögen oder sogar Spiralen bilden.
Als Joanne und ich die verbrannten Knochenbruchstücke aus dem Hinterhof von Matt Rogers untersuchten, verglichen wir sie sowohl mit den Stücken aus ihren Experimenten als auch mit den Fotos grüner Knochen, die sie in späteren Versuchen verbrannt hatte. Dabei stellten wir zu unserer Verblüffung fest, dass die Knochen aus Matt Rogers’ Haus nicht verbogen waren, und ihre Querrisse waren weder bogen- noch spiralförmig. Das Bruchlinienmuster ähnelte vielmehr auffallend dem aus Joannes Doktorarbeit - das heißt, als die Knochen verbrannten, waren sie bereits trocken und frei von Fleisch. So gelangten Joanne und ich zu einer unerwarteten, aber unausweichlichen Schlussfolgerung: Die Leiche war bereits verwest, bevor sie verbrannt wurde. Aber wie und wo konnte sie so schnell verwesen? Bohrende Fragen.
Ich brachte unsere Befunde zu Papier, schickte Kopien des Berichtes an den Agenten Daniels von der staatlichen Kriminalpolizei, die Ermittler der örtlichen Polizei und den Distriktsstaatsanwalt. die mich beschäftigten. Einen Tag nachdem man Matt Rogers festgenommen hatte, nahm Daniels die Aussage eines Freundes von Matt und Patty zu Protokoll. Der Freund - er hieß Chris Walker - erzählte Daniels, er sei ungefähr eine Woche nach Pattys Verschwinden in Matt Rogers’ Auto mitgefahren. In dem Wagen habe es entsetzlich gestunken - Leichengeruch. Als er sich wegen des Gestanks erkundigte, habe Matt ihm erzählt, Pattys Lieblingsschildkröte habe sich in das Auto verirrt und sei darin gestorben. Nach Walkers Angaben war der Geruch so stark, dass er den Kopf aus dem Fenster halten musste, um Luft zu bekommen - erstaunlich viel Gestank von einer kleinen Schildkröte.
Wie Walker dem Kriminalbeamten weiter erzählte, habe er wenige Tage nach der anrüchigen Fahrt gesehen, wie das Auto von einem Abschleppwagen in Richtung Knoxville abtransportiert wurde. Als er nach Hause kam, habe er einen Abschleppdienst in Knoxville angerufen, weil er wissen wollte, wohin man den Wagen gebracht hatte, aber damit hatte er kein Glück.
Vor dem Hintergrund von Walkers Aussage bekamen unsere Befunde auf einmal einen Sinn. Die Knochenbrüche verliefen genau so, wie ich es erwartet hätte, wenn die Leiche in der Julihitze eine oder zwei Wochen im Kofferraum eines Autos gelegen hatte. Im Kofferraum eines dunklen Fahrzeugs (dieses war ein dunkelblauer Buick Regal) kann die Temperatur einen ganzen Sommertag lang auf mehr als 40 Grad ansteigen. Eine Woche bei derartiger Hitze, und die Verwesung wird deutlich beschleunigt; außerdem musste es dann in dem Auto entsetzlich stinken, genau wie Chris Walker es beschrieben hatte.
Walker hatte nicht als Einziger versucht, das verschwundene Auto zu finden. Nachdem die Polizei seine Aussage aufgenommen hatte, versuchte sowohl die Kriminalpolizei des Staates Tennessee als auch die örtliche Polizeibehörde, es ausfindig zu machen, aber vergeblich. Gerüchte besagten, der Wagen sei zu einem Schrottplatz in Knoxville gebracht worden, wo er für ein paar Dollar verkauft wurde und dann sofort in die Schrottpresse wanderte. Seither habe ich es immer bedauert, dass wir keine Gelegenheit mehr hatten, das Auto zu untersuchen; nach meiner Überzeugung hätte mein früherer Student Arpad Vass, ein forensischer Chemiker erster Güte, darin mit Sicherheit geringe Mengen flüchtiger Fettsäuren gefunden, und damit wäre bewiesen gewesen, dass eine Leiche im Kofferraum des Wagens verwest war.
Bei der Leiche, die vermutlich im Kofferraum verwest und in jedem Fall in dem Hinterhof verbrannt war, handelte es sich tatsächlich um Patty Rogers. Die Knochenprobe, die wir zur Untersuchung geschickt hatten, lieferte genügend DNA für einen Querabgleich mit Pattys Eltern.
In einer Vorverhandlung bekannte sich Matt Rogers als nicht schuldig des Mordes an seiner Frau Patty. Aber am Vorabend des Prozesses sah er sich noch einmal genau an, welche forensischen Indizien gegen ihn sprachen. Unser Bericht machte Aussagen zu der Schussverletzung am Kopf, zur
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