Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
der Knochen aus einer höheren Position heruntergefallen war, entweder während des Brandes selbst oder bei der späteren Untersuchung durch die Mitarbeiter des medizinischen Sachverständigen. Aber diese Erklärung passte nicht zu Lage und Zustand des Fragments. Seine innere, konkave Oberfläche war verbrannt, die äußere dagegen - die Oberseite des Schädels - war weit gehend unbeschädigt. Das konnte nur eines bedeuten: Die Leiche hatte während des Brandes kopfüber im Fußraum vor dem Fahrersitz gelegen.
Jeder, der sich ans Steuer eines Autos setzt, kann selbst das Experiment machen und sich so hinlegen, dass der Kopf sich neben dem Gaspedal befindet. Gar nicht so einfach, oder? Ich muss es wissen, denn ich habe es ausprobiert. Kann man sich vorstellen, dass man in diese Position gelangt, wenn man von der Straße abkommt und in einen Graben fährt - wohlgemerkt, ohne dass das Fahrzeug sich überschlägt? Aus Sicht der Taphonomie ergab der Fall schlicht und einfach keinen Sinn.
Die Taphonomie - die Untersuchung der Anordnung oder relativen Lage menschlicher Überreste im Verhältnis zu Gerätschaften und natürlichen Elementen wie Erde, Blätter und Insektengehäusen - ist für den forensischen Anthropologen am Tatort eine der wichtigsten Informationsquellen. Ist die Leiche oder das Skelett von einem schmierigen schwarzen Fleck umgeben, was darauf hinweist, dass Tod und Verwesung an derselben Stelle stattgefunden haben? Oder sieht der Boden sauber und die Vegetation gesund aus, woraus man schließen kann, dass die Leiche bewegt oder von einer anderen Stelle hierher geschleppt wurde? Befinden sich die Knochen in den Kleidungsstücken oder daneben? Enthält der Schädel ein Wespennest, oder wächst ein Baumschößling durch den Brustkorb? Das und vieles andere sind wichtige Stücke für das taphonomische Puzzle; sie liefern zahlreiche Anhaltspunkte dafür, wann oder wie ein Mensch gestorben ist.
Im Fall von Madison Rutherford war die Taphonomie auf den Kopf gestellt. Wäre er von der Autobahn abgekommen, in den Graben gefahren und bei dem Aufprall gestorben oder bewusstlos geworden, hätte er in sitzender Position auf dem Fahrersitz verbrennen müssen. Stattdessen lag der Körper kopfüber im Wagen. Selbst wenn er den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, müsste jeder Aufprall, der zu Tod oder Bewusstlosigkeit führt, auch den Airbag ausgelöst haben, und der hätte die Bewegung eingeschränkt. Die Taphonomie war eine Warnlampe, ein Signal, dass hier irgendetwas nicht stimmte.
Nachdem ich das Schädelbruchstück in einem Beutel verstaut und diesen beschriftet hatte, durchsuchte ich den Rest des Fahrzeugs; weitere Knochen oder Zähne fand ich aber nicht mehr. Von dem übersehenen Schädelfragment abgesehen, hatten die Mitarbeiter des medizinischen Sachverständigen bei der Untersuchung des Wagens gründliche Arbeit geleistet.
Fast ebenso bedeutsam wie der Fund aus dem Wagen war das, was wir nicht fanden. Das Fahrrad, das Rutherford gekauft hatte, war weg. Das konnte einerseits darauf hindeuten, dass er bei dem Hundezüchter gewesen war und ihm wie geplant das Fahrrad geschenkt hatte. Andererseits befanden sich aber in dem Suburban auch keine Hundeknochen. Wenn der Hund also nicht wesentlich geschickter gewesen war als der Mensch und sich vor dem Brand gerettet hatte, bestand eine Diskrepanz zwischen dem, was man hätte finden müssen, und dem, was tatsächlich gefunden wurde. Auch das war ein Indiz.
Einen weiteren Anhaltspunkt lieferten die Brandschäden an dem Fahrzeug. Vom Benzin im Treibstofftank abgesehen, enthält ein Auto nicht viel brennbare Materialien: ein paar Teppiche, einige Polsterungen, ein Dachhimmel aus Stoff. Dennoch war dieser Suburban mit einer solchen Heftigkeit abgebrannt, dass es den Feuerwehrleuten nicht einmal gelungen war, die Flammen zu löschen. Ich bin kein Brandermittler, aber ich habe eine ausreichende Zahl von verbrannten Autos untersucht und mit so vielen Experten für Brandstiftung gesprochen, dass ich über ein paar grundlegende Kenntnisse verfüge. Nach den verheerenden Schäden an dem Fahrzeug zu urteilen, musste die Menge an brennbarem Material in dem Suburban - die »Brandlast«, wie Feuerwehrleute sie nennen - weit über das Normale hinausgegangen sein. Das ließ darauf schließen, dass das Feuer von einer großen Menge eines Brandbeschleunigers angeheizt wurde, und der musste sich zum größten Teil auf die rechte hintere Ecke des Fahrzeuges konzentriert haben, wo
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