Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
die Morde an Darryl und Annie Perry verhängten sie lebenslange Freiheitsstrafen, für den Mord an Krystal jedoch - dem »Geldkind«, wie Goodwin und Applewhite sie nannten - verurteilten sie ihn zum Tode. Irgendwie erschien es angemessen: Die Geschworenen waren überzeugt, dass Rubenstein drei Angehörige seiner eigenen Familie getötet hatte, drei Menschen, die ihn kannten und ihm vertrauten; jetzt war er derjenige, der hingerichtet werden sollte.
Jeder Mord ist in irgendeiner Form schlimm und brutal, aber dieser Fall war mit seiner kalten Berechnung und Unmenschlichkeit besonders schockierend. Michael Rubenstein erstach den Sohn seiner Frau. Er erstach seine Schwiegertochter. Und er erdrosselte ein vierjähriges Kind. Vermutlich hatte er auch die beiden Geschäftspartner umgebracht. Wenn ich mit meiner Fachkenntnis dazu beitragen kann, dass auch nur ein derart bösartiges Exemplar der Spezies Mensch unschädlich gemacht wird, haben sich meine jahrelangen Studien und Forschungsarbeiten gelohnt.
Während des Prozesses wohnten Carol und ich in der gleichen Pension, in der auch der Vater und die Stiefmutter von Darryl Perry abgestiegen waren. Die beiden waren nach dem Verlust von Darryl, Annie und Krystal am Boden zerstört. Eines Morgens - ich war bereits zum Gericht gefahren - sprach Mr. Perry, ein schüchterner, ruhiger Mann, Carol in der Küche an. Den Blick zu Boden gerichtet, sagte er: »Sagen Sie bitte Ihrem Mann, wir danken ihm sehr dafür, dass er hergekommen ist und uns geholfen hat.« Als sie aufblickte, liefen ihm die Tränen über die Wangen.
Doris Rubenstein reichte die Scheidung ein, nachdem Mike wegen des Mordes an ihrem Sohn, ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkeltochter verurteilt war. Ob sie wirklich geschieden wurde, weiß ich nicht, aber in jedem Fall lebte sie nicht mehr lange genug, um Freude daran zu haben. Vor kurzem wurde sie tot aufgefunden. Herzversagen.
Rubenstein hat Berufung gegen die Todesstrafe eingelegt, und das Verfahren wird sich noch über Jahre hinziehen. Ich muss immer wieder daran denken, dass Darryl, Annie und Krystal keine Chance hatten, um ihr Leben zu bitten. Rubensteins Hinrichtung würde die Menschen, die er getötet hat, nicht wieder lebendig machen, aber sie könnte andere davor schützen, das gleiche Schicksal zu erleiden.
Wenn es in diesem Fall - außer der forensischen Wissenschaft, die eine Anklage gegen Rubenstein erst möglich machte - einen Helden gibt, dann ist es Allen Applewhite, Beamter bei der Autobahnpolizei, der den Fall nicht auf sich beruhen lassen wollte. Er verfolgte die Sache jahrelang weiter, auch als keine Hoffnung auf ein Verfahren zu bestehen schien. Er grub einen Berg von Indizien gegen Rubenstein aus, einen Mann, der für ihn später nach eigenen Angaben »das Böse in Reinkultur« war. Von der Heimtücke und der Verdorbenheit, die er bei Rubenstein ans Licht brachte, war Allen so tief getroffen, dass er noch heute ein Foto des Mörders in seinem Polizeiauto hat. Es soll ihn daran erinnern, wie viel auf dem Spiel stehen kann, wenn man einen Mörder verfolgt. Als die Geschworenen im ersten Verfahren in der Sackgasse steckten und der Richter den Prozess für gescheitert erklärte, hatte Allen geweint; nachdem die zweite Jury den Angeklagten für schuldig befunden hatte, ging er nach Hause und nahm seine eigene vierjährige Tochter ganz fest in die Arme.
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Asche zu Asche
L loyd Harden - oder »Chigger«, wie Angehörige und Freunde ihn nannten - war Farmer im Osten von Tennessee. Geboren und aufgewachsen war er wie viele andere Mitglieder der Familie Harden in der Harden Road in Birchwood, einem Weiler aus ein paar Bauernhäusern, die sich über den breiten, fruchtbaren Talboden des Tennessee River verteilten. Die Ansiedlung liegt ungefähr in der Mitte der 160 Kilometer langen Strecke von Knoxville nach Chattanooga.
Chiggers acht Geschwister hatten sich über das Tal verteilt wie eine Hand voll Samen, die der Wind verweht hat, aber Chigger selbst war in der Harden Road geblieben. Er hatte kein einfaches Leben. In der Schule war er über die siebte Klasse nicht hinausgekommen, und mit 17 hatte er eine harte Lektion gelernt, die ihn für sein ganzes weiteres Leben prägte: Er war mit seinem 19-jährigen Bruder wegen einer Pokerpartie in Streit geraten, und Chigger hatte verloren; eine Kugel des Kalibers.22 aus einer Pistole, die sein Bruder in der Hand hielt, traf ihn in die Brust. Er überlebte, aber die Kugel steckte so dicht neben dem
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