Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
einer immer als Fotograf tätig. Als wir das abgebrannte Haus im Kreis Hawkins durchsuchten, wurde die Kamera von Steve Symes bedient, einem meiner Doktoranden. Steve hatte seine bemerkenswerte Begabung für die Tatortfotografie bereits unter Beweis gestellt; seine Aufnahmen ließen häufig wesentlich mehr Einzelheiten erkennen als die der offiziellen Polizeifotografen. An jenem Morgen allerdings litt Steve unter einem schweren Manko, von dem ich zunächst nichts wusste: Er war mit einem schweren Kater völlig durchgefroren und patschnass aufgewacht. Irgendwann in der Nacht, nachdem Steve völlig betrunken eingeschlafen war, hatte sein Wasserbett eine undichte Stelle bekommen. Hunderte von Litern Wasser hatten sich über seinen Fußboden ergossen und waren durch die Decke in die darunter liegende Wohnung gedrungen. Glücklicherweise war die Verdrahtung seiner elektrischen Heizdecke wasserdicht; ansonsten wäre er gekocht worden. Jedenfalls fühlte er sich hundeelend, und unsere Fahrt auf den Gebirgsstraßen im Osten von Tennessee trug auch nicht gerade zu seinem Wohlbefinden bei.
Die Fahrt von Knoxville zum Sheriffbüro des Kreises Hawkins in Rogersville dauerte etwa eineinhalb Stunden. Von dort fuhren wir hinter einem Beamten her - Lieutenant Alvis Wilmot, Leiter der Ermittlungen in diesem Fall - über eine gewundene Straße zum nördlichen Arm des Holston River.
Wenn man von der 4000-Seelen-Gemeinde Rogersville aufs Land fährt, ist man mehr oder weniger aus der Welt. Als wir etwa 40 Kilometer außerhalb der Ortschaft in einen Kiesweg abbogen, befanden wir uns in einem abgelegenen Flusstal. Es war so dünn besiedelt - oder vielleicht war man hier auch gegenüber Außenstehenden so misstrauisch -, dass der Brand noch nicht einmal gemeldet worden war. Erst ein Angehöriger des Hauseigentümers, der von Virginia mit dem Auto gekommen war, hatte das Gebäude in Ruinen vorgefunden. Das Anwesen war dicht bewaldet, und das Gelände fiel nach Osten steil zum nördlichen Arm des Holston River mit seinem klaren, grünen Wasser ab. Wir stiegen aus und vertraten uns die Beine; Steve holte ein paar Mal besonders tief Luft.
Nach Angaben von Lieutenant Wilmot hatte sich der Brand vor acht Tagen ereignet; soweit die Polizei das Ereignis nach Vernehmung der Nachbarn rekonstruieren konnte, war das Feuer gegen zwei Uhr morgens ausgebrochen. Als es mangels weiterer Nahrung von selbst erloschen war, hatte es nur ein Rechteck mit verkohlten Trümmern übrig gelassen, das von einem Durcheinander aus geschwärzten Ziegelsteinen umgrenzt wurde; ein größerer Haufen Ziegelsteine kennzeichnete die Stelle, wo im Haus der Kamin gestanden hatte.
Erst einen Monat zuvor hatte ein Mann namens James Grizzle aus Virginia das Haus mit dem Grundstück erworben. Er kam aus einer Gegend, die noch gebirgiger und dünner besiedelt war als diese. Im Dezember war Grizzle in das Haus gezogen und hatte angefangen, es umzubauen. Der Brand ereignete sich am 15. Januar; sechs Tage später war Grizzles Vater gekommen, um nach dem Rechten zu sehen, nachdem er von seinem Sohn nichts gehört hatte. Als er sah, dass das Haus abgebrannt war, hatte er sofort die Polizei benachrichtigt. Wir sollten nun feststellen, ob Grizzles Leiche irgendwo in den verkohlten Ruinen lag, die das Feuer übrig gelassen hatte.
Aus Sicht der forensischen Wissenschaft stellen Brandschauplätze eine interessante Kombination aus Gegebenheiten und Herausforderungen dar. Wie an jedem Ort, wo man eine verweste Leiche oder Knochen vermutet, so muss man auch hier alle Überreste von Menschen ausfindig machen und bergen. Nach einem Brand ist das oftmals schwierig, denn eine Leiche macht im Feuer tief greifende Veränderungen durch.
Als Erstes verschwinden Arme und Beine. Relativ dünn und auf allen Seiten von Sauerstoff umgeben, brennen sie wie Zunder. Schon bei Temperaturen von wenigen hundert Grad wird die Haut schwarz, das darunter liegende Fett verschmort, nach wenigen Minuten platzt die Haut, und das Fleisch beginnt zu brennen. Dabei geschieht etwas Bemerkenswertes und wahrhaft Gespenstisches: Die Gliedmaßen bewegen sich - Hände und Füße krampfen sich zusammen, die Arme winkeln sich in Richtung der Schultern an, und die Beine spreizen sich leicht, wobei die Knie gebeugt sind. Die Ursache liegt in Biomechanik und Muskelkraft: Die Beugemuskeln der Arme und Beine sind stärker als ihre Gegenspieler, die Strecker. Wenn das Feuer die Muskeln und Sehnen brät und austrocknen lässt,
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