Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
ziehen sie sich zusammen wie ein Steak auf dem Grill, und dabei üben die Beuger mehr Kraft aus als die Strecker.
Insgesamt ergibt sich daraus eine ähnliche Körperhaltung wie bei einem Boxer im Ring. Diese charakteristische Haltung findet man - genau wie die violette Verfärbung oder die geschwollene Zunge bei Gehängten - bei allen Opfern von Bränden, wenn die Gliedmaßen Spielraum haben und sich beugen können. Sind die Arme jedoch festgebunden oder hinter dem Rücken gefesselt, können sie sich nicht zusammenziehen; eine verbrannte Leiche in gestreckter Haltung lässt also unter Umständen den wichtigen Schluss zu, dass das Opfer irgendwie in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
Die zweite dramatische Veränderung spielt sich am Kopf ab. Der Schädel ist eigentlich ein wasserdichter Behälter, der Flüssigkeit und den größten Teil des Gehirngewebes enthält. Nicht lange, dann hat die Temperatur der Flüssigkeit den Siedepunkt erreicht, und der Schädelinnendruck nimmt zu; je heißer das Feuer ist, desto größer wird der Druck. Findet er ein Ventil - beispielsweise eine Einschussöffnung im Schädel -, baut er sich ab, ohne Schaden anzurichten. Ist das aber nicht der Fall, kann der Schädel buchstäblich platzen: Er zerbricht in zahlreiche Stücke von der Größe einer kleinen Münze. Die Bergung und Rekonstruktion eines Schädels an einem Brandschauplatz gehört zu den langwierigsten Aufgaben, mit denen ein forensischer Anthropologe konfrontiert wird, und auch nachdem man ihn zusammengesetzt hat, bleiben Fragen: Verletzungen mit stumpfen oder scharfen Gegenständen sind zwischen den vielen vom Feuer verursachten Bruchlinien und den durch fehlende Stücke entstandenen Lücken häufig kaum auszumachen.
Andererseits kommt Tatortermittlern der Umstand zu Hilfe, dass eine Leiche fast nie vollständig verbrennt. Selbst im Krematorium bleiben beträchtliche Knochenreste, die dann mechanisch zu Pulver zermahlen werden müssen. Aber auch die größten und widerstandsfähigsten Knochen unseres Körpers - Oberschenkelknochen, Schienbein und Oberarmknochen - werden durch Feuer häufig stark beschädigt. In einem Haus, das bei relativ niedrigen Temperaturen abbrennt, werden die langen Knochen schwarz oder karamellfarben, ihre Struktur bleibt aber weit gehend intakt. Nach einer Brandstiftung jedoch - wenn das Feuer also mit Benzin oder einem anderen Brandbeschleuniger gelegt wurde -, können die Temperaturen bis auf über 1100 Grad steigen; bei derart extremer Hitze macht der Knochen einen chemischen und strukturellen Wandel durch. Wie alle Körperteile, so enthalten auch die Knochen viel Kohlenstoff, der bei extrem hohen Temperaturen verbrennt. Zurück bleibt dann ein so genannter »kalzinierter« Knochen: Er hat unter Umständen noch die ursprüngliche Gestalt - genau wie ein Korallenriff, das auch dann noch seine Form hat, wenn die Lebewesen, die es aufgebaut haben, abgestorben sind -, ist aber sehr leicht, grau verfärbt, von Hitzebrüchen durchzogen und so empfindlich, dass er einem häufig unter den Händen zerfällt und mit Sicherheit durch einen Fußtritt zerstört wird. (Kürzlich wandte sich ein Anwalt an mich, der einen Mordprozess neu aufrollen wollte; er berichtete mir, ein zentrales Beweisstück der Anklage - ein kalziniertes Schädelfragment des Opfers - sei versehentlich auf den Fußboden gefallen, und der Richter sei darauf getreten, sodass nur noch Staub übrig blieb.)
Trotz seiner Zerstörungskraft hinterlässt Feuer erstaunlich viele Indizien. Man muss nur wissen, wo und wie sie zu finden sind. Mittlerweile macht es mir sogar Spaß, das wissenschaftliche Rätsel zu lösen und im Geist zu rekonstruieren, wie der Schauplatz des Brandes kurz vor dem Ausbruch des Feuers ausgesehen hat. Knöpfe und Schnallen, Haken und Ösen, Messingnieten und Reißverschlüsse in einem Haufen Asche? Das ist einfach: Hier stand einst eine Kommode mit Schubladen voller Hemden, Büstenhalter und Jeans. Ein Berg mit zerbrochenem Glas und Porzellan neben einem verkohlten Kronleuchter? Hier war das Esszimmer mit dem Geschirrschrank.
Für die geistige Rekonstruktion eines abgebrannten Hauses ist es entscheidend, dass man ganz vorsichtig eine mehrere Zentimeter dicke Ascheschicht abträgt: die Überreste von Zimmerdecke und Dach. Darunter liegt vieles, das Aufschluss über den Zustand vor dem Brand geben kann. Stühle bestehen zum Beispiel meist aus Holz, aber oft tragen sie an den Beinen kleine Metallfüße, an denen
Weitere Kostenlose Bücher