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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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er sich mit diesem Gedanken nie können.
    Er nahm an, es hatte mit einer Art Mitgefühl für das Opfer zu tun.
    Nicht ein einziges Mal war es ihm gelungen, eine Leiche mit einer rationalen Distanz zu betrachten, die es ihm erlaubt hätte, in ihr nichts anderes als «nur» eine Leiche zu sehen. Manche Cops konnten das. Manche Cops mussten es tun, wenn sie nicht den Verstand
    verlieren wollten. Magozzi hatte es nie geschafft. Für ihn handelte es sich nie nur um eine Leiche; es war stets eine tote Person, und das war ein großer Unterschied.
    Aber bei dieser Leiche war es schlimmer als sonst. Erst ein Tag
    war mit Ermittlungen vergangen, und er empfand nicht nur Mitleid
    mit dem Opfer. Langsam empfand er bereits Mitleid mit sich selbst, weil er den Mann nicht gekannt hatte. Das war ihm noch nie passiert.
    «Langer Tag», seufzte Gino schließlich.
    «Zu lang. Zu viele trauernde Menschen. Weißt du, ich möchte
    nur ein einziges Mal an einem Fall arbeiten, bei dem jeder den Toten gehasst hat.»
    «Das wird nie passieren», murrte Gino. «Niemand hasst einen
    Toten. Das gehört sich nicht. Du kannst der fieseste Kerl auf Erden gewesen sein, aber wenn sie dich in einem offenen Sarg aufbahren, dann scheinen auch die Leute, die dich zu Lebzeiten gehasst haben, etwas Nettes über dich sagen zu können. Es ist wie ein Wunder.»
    Magozzi blickte zum Fenster hinaus auf die verlassene Straße.
    Vielleicht hatte Gino Recht. Vielleicht war Morey Gilbert ein
    Mensch wie jeder andere gewesen und wurde nur durch seinen Tod
    erhöht. Aber insgeheim war er anderer Meinung.
    Gino blieb einen Moment lang stumm. «Aber ich denke, dass es
    in diesem Fall ein bisschen anders ist, Leo.»
    «Ja, ich weiß. Mir ist eben dasselbe durch den Kopf gegangen.»
    Magozzi schloss die Augen und dachte an die vielen Trauernden vor der Gärtnerei. Es war eine spontane Trauerkundgebung gewesen, wie man sie erwartet hätte, wenn ein Prominenter gestorben war oder
    vielleicht eine hoch verehrte Person des öffentlichen Lebens, aber nicht irgendein Durchschnittsmensch, von dem niemand je gehört
    hatte. In den Medien war darüber berichtet worden, aber
    hauptsächlich, weil es zu einem Verkehrschaos auf dem Boulevard
    gekommen war. Von Morey Gilbert hatte auch in der Redaktion
    noch nie jemand gehört, und das Hauptaugenmerk richtete sich auf
    die großartige, Quoten steigernde Horrorgeschichte des anderen alten Mannes, der gequält und an Gleise gefesselt worden war.
    Beethovens Fünfte erklang aus der Tasche von Ginos Shorts. Er
    zerriss sie, als er sein Handy hervorzog, bevor es die nervenden Töne noch mal von sich gab. «Verdammt, die Göre kriegt Hausarrest.
    Damit sie ein bisschen Respekt vor ihrem Vater und klassischen
    Komponisten bekommt.»
    «Du solltest dir für das Ding einen dieser kleinen Handyhalfter
    anschaffen.»
    «Klar doch. In dem einen Halfter ein Handy und im anderen
    meine Dienstwaffe. Am Ende schieß ich mir noch ins Ohr. Ja, hier
    Rolseth.»
    Als Gino das Leselicht einschaltete und sich Notizen machte,
    stieg Magozzi aus dem Wagen und lehnte sich an die Tür. Er drückte die Kurzwahltaste und wartete den Piepton des Anrufbeantworters
    am anderen Ende ab. «He, Magozzi hier. Wir müssen uns um einen
    Fall kümmern, und ich werde mich etwas verspäten. Ich versuche, es bis zehn zu schaffen. Ruf mich bitte zurück, wenn das zu spät ist, sonst sehen wir uns dann.» Er klappte das Telefon zu und stieg
    wieder in den Wagen, betete, dass zehn Uhr nicht zu spät sein und sein Telefon in den nächsten paar Stunden bitte nicht klingeln möge.
    Gino fuchtelte mit seinem Notizbuch. «Das war der
    Nachtmanager vom Wayzata Country Club. Jack Gilbert war gestern
    Abend dort, wie er gesagt hat. Anscheinend ist er fast jeden Abend dort, und zwar solo, was einiges über sein häusliches Leben verrät.
    Aber der Laden macht um ein Uhr zu, und Anant hat gesagt, der Tod sei zwischen zwei und vier eingetreten, oder?»
    «Stimmt.»
    «Also hatte er reichlich Zeit, zur Gärtnerei zu fahren und seinen Vater abzumurksen. Was bedeutet, dass wir kein Familienmitglied
    als Täter ausschließen können. Die alte Dame ist allein zu Hause, und Sohn und Schwiegersohn sind angeblich beide hackevoll und
    können sich an nichts erinnern.» Er seufzte und schob sein
    Notizbuch in die Hemdtasche. «Niemand hat heutzutage mehr ein
    Alibi. Das hasse ich. Also, was meinst du?»
    Magozzi drehte sich zum Rücksitz hinüber und griff nach einer
    der beiden fettigen Tüten,

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