Der König auf Camelot
Rittern andichteten. Es entstand
eine aberwitzige Situation: Greuelmärchen wurden geglaubt von Greueltätern.
Viele jener Barone, die Lanzelot niederwerfen mußte, hatten sich aus lauter
Angst, ihre angestammte Macht zu verlieren, in solche Wahnzustände hineingesteigert,
daß sie ihn für eine Art Giftgas-Mann hielten. Sie bekämpften ihn mit solcher
Skrupellosigkeit und solchem Haß, als sei er der Antichrist selber, und
bildeten sich tatsächlich ein, sie seien die Verteidiger des Rechts. Es wurde
ein Bürgerkrieg der Ideologien.
Eines
schönen Sommertages ritt er durch einen Schloßpark, der ihm fremd war. Auf
einer Wiese standen einzelne Bäume – große Ulmen und Eichen und Buchen – , und
Lanzelot dachte mit kummervollem Herz an Ginevra. Bevor er sich von der Dame
getrennt hatte, die ihn zu Sir Turquine führte – sein Versprechen hatte er
schon eingelöst – , waren sie auf das Heiraten zu sprechen gekommen, was ihn
sehr in Erregung brachte. Die Dame hatte gesagt, er müsse entweder eine
Gemahlin oder eine Geliebte haben, und Lanzelot war wütend geworden. »Ich kann
niemanden daran hindern, nach Belieben daherzureden«, hatte er gesagt, »aber
die Umstände machen eine Heirat unmöglich – und mir eine Geliebte zu halten,
das finde ich nicht gut.« Sie stritten noch eine Weile und trennten sich dann.
Seither hatte er mehrere Aventiuren bestanden, und dennoch dachte er noch immer
über den Ratschlag der Dame nach, und es war ihm erbärmlich zumute.
Da
erklang Schellengeläut in der Luft. Sofort blickte er auf.
Ein
schöner Wanderfalke flatterte über ihm auf die Krone einer Ulme zu; seine
Glöckchen klingelten hell im Wind, und seine créance flatterte hinter
ihm her. Der Peregrin war aufgebracht. Sobald er die Ulmenkrone erreicht hatte,
ließ er sich nieder und blickte sich mit wütenden Augen und keuchendem Schnabel
um. Die lange Leine wickelte sich dreimal um den Ast. Als er merkte, daß Sir
Lanzelot auf ihn zugeritten kam, machte er einen verzweifelten Versuch, wieder
davonzufliegen. Die creance fing ihn ab. Nun hing er kopfüber an der
Leine und schlug mit den Flügeln. Dem Ritter pochte das Herz im Hals vor Angst,
der herrliche Vogel könne sich einige Federn brechen. Wenig später hörte das
Geflatter auf; verkehrt an der Leine hängend, drehte sich der Peregrin langsam
um sich selbst. Das zornige Tier sah dabei seltsam entwürdigt und grotesk aus.
Sein Haupt reckte sich in die Höhe wie der Kopf einer Schlange.
»Oh,
Sir Lanzelot! Sir Lanzelot!« rief eine unbekannte feine Dame, die geschwind auf
ihn zuritt und offensichtlich bemüht war, die Hände zu ringen, trotz Zaum und
Zügel. »Oh, Sir Lanzelot! Ich habe meinen Falken verloren.«
»Da
oben ist er«, sagte er, »in dem Baum dort.«
»Ach
du meine Güte! Ach du meine Güte!« rief die Dame. »Ich wollte ihn ja nur ein
wenig fliegen lassen, aber da ist die Leine gerissen! Mein Mann bringt mich um,
wenn ich ihn nicht wiederbekomme. Er ist sehr hitzig und ein gestrenger
Falkner.«
»Aber
er wird Euch doch nicht gleich umbringen?«
»Doch,
bestimmt! Nicht mit Absicht, aber er tut’s! Er ist sehr, sehr hitzig.«
»Vielleicht
könnte ich ihn daran hindern.«
»Oh,
nein«, sagte die edle Dame. »Das würde gar nichts helfen. Ihr könntet ihn
vielleicht verwunden. Es wäre mir gar nicht recht, wenn meinem lieben Mann ein
Leids geschähe. Meint Ihr nicht, es wäre besser, wenn Ihr auf den Baum stieget
und versuchen würdet, meinen Falken herunterzuholen?«
Lanzelot
sah die Dame an und blickte den Baum hinauf. Alsdann tat er einen tiefen
Seufzer und bemerkte, wie Malory berichtet: »Nun denn, edle Frau, da Ihr schon
meinen Namen wißt und mich als Ritter bittet, Euch beizustehen, werde ich alles
daransetzen, Euren Falken einzufangen. Aber ich bin ein schlechter Kletterer,
und der Baum ist reichlich hoch, und es sind der Äste wenige, mir in die Höhe
zu helfen.«
Er
hatte seine Jugend damit zugebracht, das Kämpfen zu erlernen. Es war ihm keine
Zeit geblieben, auf die Bäume zu steigen und Vogelnester auszunehmen, wie
andere Knaben dies taten. Das Ansuchen der vornehmen Dame, das Arthur oder
Gawaine nicht im mindesten in Verlegenheit gebracht hätte, bereitete ihm also
einige Schwierigkeiten.
Bekümmert
legte Lanzelot seine Rüstung ab, maß zwischendurch den entsetzlichen Baum mit
einem schrägen Blick, bis er in Hemd und Hose dastand. Dann nahm er mannhaft
den ersten Ast in Angriff, während die Dame unter ihm umherlief und von
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