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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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Lebenswerk
begonnen hatte, wäre jedermann, der die Königin der geringsten Verfehlung
beschuldigt hätte, kurzerhand hingerichtet worden. Jetzt aber mußte er, um
seines eigenen Werkes willen, bereit sein, die eigene Frau zu verbrennen.
    Denn
in des Königs Kopf hatte eine neue Idee Gestalt angenommen. Seine Bemühungen,
die Gewalt zu kanalisieren, waren fehlgeschlagen, auch dann, als sie ins
Geistige gelenkt wurden; und nun befand er sich auf dem Wege, sie vollends
abzuschaffen. Er hatte beschlossen, der Macht keinerlei Zugeständnisse mehr zu
machen – er wollte sie mit der Wurzel ausreißen, sie mit Stumpf und Stiel
ausrotten, indem er eine gänzlich andere Norm einführte. Er tastete sich vor zu
einem Punkt, wo das Recht ein unabhängiges Kriterium wäre, wo die Gerechtigkeit
als ein Absolutum bestünde, das sich nicht an die Macht anlehnte. In ein paar
Jahren wollte er das Civil Law, das Bürgerliche Gesetz, einführen.
    Es
war ein kalter Tag. Die Tücher zwischen dem Gestänge der Schranken und
Pavillons waren prall gespannt, und die Wimpel lagen steif im Wind. Der
Scharfrichter in der Ecke hauchte seine Fingerspitzen an; er stand neben der
Kohlenpfanne, der er das Feuer für die große Loderlohe entnehmen würde. Die
Herolde im Zelt des Konnetabels befeuchteten sich die rauhen, in der eisigen
Zugluft aufgesprungenen Lippen, ehe sie ihre Trompeten zum Tusch hoben.
Ginevra, die zwischen Wächtern im Gewahrsam des Konnetabels saß, mußte um einen
Schal bitten. Allgemein wurde bemerkt, daß sie dünner geworden war. Ein
bleiches, freudloses Gesicht mittleren Alters, das gespannt und stoisch
zwischen den Bullengesichtern der Soldaten abwartete.
    Natürlich
war’s Lanzelot, der sie errettete. Bors war es gelungen, ihn während der zwei
Tage, die er weg war, in einer Abtei aufzuspüren. Nun also kam der
Wiedergefundene gerade noch zur rechten Zeit zurück, um für die Königin gegen
Sir Mador zu kämpfen. Niemand, der ihn kannte, hätte etwas anderes von ihm
erwartet, ob er nun in Ungnade gefallen war oder nicht – doch die Tatsache, daß
man ihn außer Landes gewähnt hatte, machte sein Auftreten zu einem dramatischen
Ereignis.
    Sir
Mador kam aus seiner Nische am südlichen Ende und proklamierte die
Anschuldigung, während sein Herold blies. Sir Bors kam aus der nördlichen
Öffnung, um mit dem König und dem Konnetabel zu unterhandeln. Eine lange
Begründung oder Erklärung schien er vorzutragen, deren Sinn das Volk wegen des
Windes nicht mitbekam. Die Zuschauer wurden störrisch; sie fragten sich, was
denn los sei und weshalb der Gerichtsentscheid durch Zweikampf nicht endlich
wie üblich in Szene gehe. Nach mehrmaligem Hin und Her zwischen dem Zelt des
Königs und dem des Konnetabels kehrte Sir Bors dann in sein eigenes Loch
zurück. Es entstand eine unbehagliche Pause, während derer ein schwarzer
Schoßhund mit Mopsnase sich losriß, auf die Kampfbahn rannte und dort hinter
irgend etwas herjagte, das nur ihm selber bekannt war. Einer der Ordnungshüter
fing das Tier ein und band es fest, was ihm den ironischen Beifall des
Publikums eintrug. Dann trat Stille ein – unterbrochen nur von den Rufen der
Nuß- und Pfefferkuchen-Verkäufer.
    Lanzelot
kam aus dem nördlichen Ausgang geritten, der mit Bors Wappenschild
gekennzeichnet war – und alsbald wußte jeder im Amphitheater, daß er es war,
obwohl er verkleidet erschien. Die Stille war so beklemmend, als hätten alle
gleichzeitig den Atem angehalten.
    Er
war nicht aus Herablassung zur Königin zurückgekommen. Die rohe Erklärung, er
habe sie ›aufgegeben‹, um seine Seele zu retten, und sei nun zurückgekehrt mit
der Absicht, einen Akt theatralischer Großmut vorzuführen, entsprach nicht den
Tatsachen. Es war doch etwas komplizierter.
    Das
nie bewältigte Kindheitsproblem dieses Ritters bestand darin, daß Gott für ihn
eine wirkliche Person war. Es war keine Abstraktion, die einen bestrafte, wenn
man böse war, oder einen belohnte, wenn man gut war, sondern eine richtige
Person wie Ginevra oder Arthur oder sonst wer. Natürlich hielt er Gott für
besser als Ginevra oder Arthur, doch das Entscheidende war, daß es sich um ein
persönliches Wesen handelte. Lanzelot hatte eine ganz bestimmte Vorstellung von
dessen Aussehen und dessen Empfindungsweise – und irgendwie war er in diese
Person verliebt.
    Der
Mißratene Ritter war nicht in ein Ewiges Dreieck verstrickt. Es war ein Ewiges
Viereck, das ebenso ewig wie viereckig war. Er hatte seine Geliebte

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