Der König auf Camelot
war erst vor kurzem gemäht worden, so daß sie ihre
Pfeile nicht lange zu suchen brauchten, was sonst stets der Fall war – wie
beim Golf, wenn man unklugerweise in der Nähe von Hecken oder an unübersichtlichen
Stellen schlägt. So kam es, daß sie weiter hinaus streunten als gewöhnlich und
an den Saum des Wildwaldes gelangten, wo Cully entflogen war.
»Ich bin dafür«, sagte Kay, »daß wir ins Revier
gehen. Da sind Baue, und vielleicht erwischen wir’n Kaninchen. Das macht doch
mehr Spaß, als auf Erdhaufen zu schießen.«
Das taten sie. Sie suchten sich zwei Bäume aus, an
die hundert Schritt auseinander, und jeder Junge stellte sich unter einen Baum;
dann warteten sie, daß die Karnickel wieder hervorkämen. Sie standen ganz
still, den Bogen gehoben und den Pfeil aufgelegt, um sich möglichst wenig zu
bewegen, wenn die Tiere auftauchten. Es fiel ihnen beiden nicht schwer, in
dieser Stellung zu verharren, denn die erste Übung, die sie beim Bogenschießen
hatten lernen müssen, war genau diese: eine halbe Stunde lang mit dem Bogen auf
Armes Länge dazustehen. Jeder hatte sechs Pfeile, und die konnten sie
abschießen und im Auge behalten, ohne die Kaninchen durch das Einsammeln zu verschrecken.
Ein Pfeil ist so leise, daß er nur das betreffende Kaninchen verjagt, dem er
gegolten hat.
Beim fünften Schuß hatte Kay Glück. Er hatte Wind
und Entfernung richtig berechnet, und sein Pfeil traf ein Jungkaninchen mitten
in den Kopf. Es hatte sich auf den Hinterläufen aufgerichtet, um dieses
rätselhafte Etwas zu beäugen.
»Volltreffer!« rief Wart, als sie auf ihre Beute
zuliefen. Es war das erste Kaninchen, das sie je erlegt hatten, und zum Glück
war es gleich auf der Strecke geblieben.
Mit dem Jagdmesser, das Merlin ihnen gegeben hatte,
weideten sie es sorgfältig aus – um es frisch zu halten – und schoben einen
Hinterlauf durch den anderen am Sprunggelenk, so daß eine Art Aufhänger
entstand, an dem es leichter zu tragen war. Bevor sie jedoch ihre Bogensehnen
entspannten, um das erlegte Wild nach Hause zu bringen, zelebrierten sie die
übliche Zeremonie. An jedem Donnerstagnachmittag durften sie, nachdem der
letzte ernsthafte Pfeil verschossen war, noch einmal anlegen und einen Pfeil
stracks in den Himmel schießen. Es war eine Geste des Abschieds, des Triumphs
auch, auf jeden Fall aber herrlich. Heute taten sie’s zu Ehren ihrer ersten
Jagdbeute.
Wart folgte seinem aufsteigenden Pfeil mit den
Blicken. Die Sonne neigte sich bereits abendlich gen Westen, und wo sie
standen, wurden sie von den Bäumen schon in Halbschatten getaucht. Als der
Pfeil über die Wipfel hinaus war und in den Sonnenschein stieg, verlor er sich
golden in den gleißenden Strahlen; er wedelte nicht, wie er’s beim Durchreißen
getan hätte, sondern hob sich schwimmend und schwindelnd in den Himmel,
unbeirrt, vergoldet, über alle Maßen prächtig. Just in dem Augenblick, da
seine Kraft erschöpft war, da sein Ehrgeiz von der Vorsehung gebremst wurde und
er sich anschickte zu ermatten, zu wenden, in den Schoß der Mutter Erde zurückzukehren
– just in diesem Augenblick geschah ein Zeichen, ein Wunder. Eine Rabenkrähe
kam träge vor der niedergehenden Sonne einhergeflogen. Sie kam, sie schwankte
nicht, sie nahm den Pfeil auf. Sie flog davon, schweren Flügelschlags, den
Pfeil im Schnabel.
Kay bekam’s mit der Angst, Wart jedoch war wütend.
Verzückt hatte er den Flug seines Pfeils verfolgt, das Glühen in der Sonne –
und überdies war’s sein bester. Er war der einzige, der absolut ausbalanciert
war, scharf, dichtbefiedert, sauber gekerbt und weder verzogen noch zerkratzt.
»Du, das war eine Hexe«, sagte Kay.
KAPITEL 7
Dem Lanzenstechen und der
Reitkunst waren zwei Nachmittage in der Woche vorbehalten, denn sie bildeten
dazumal die wichtigsten Disziplinen in der Ausbildung eines Edelmannes. Merlin
war’s nicht recht; er meinte murrend, heutzutage halte sich einer schon für
gebildet, weil er einen ändern vom Gaul stoßen könne, und derlei Narretei sei
der Ruin der Gelehrsamkeit; niemand bekomme mehr Stipendien wie früher, als er
ein Junge war, und alle öffentlichen Schulen seien gezwungen, ihr Niveau zu
senken. Sir Ector jedoch, ein leidenschaftlicher Lanzenstecher und
Konservativer, sagte, die Schlacht von Crécy sei auf dem Sportfeld von Camelot
gewonnen worden. Das machte Merlin derart wütend, daß er Sir Ector zwei Nächte
lang mit Rheumatismus schlug, ehe er sich erweichen
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