Der König auf Camelot
Letzten
seiner Familie umbringen.«
»Mordred!«
»Arthur«, entgegnete er. Und zeigte ihm
ein Gesicht aus Stein, eine üble Mixtur aus Gift, Glätte und Erbärmlichkeit.
»Wenn es stimmt, ist’s entsetzlich. Wer
sollte ein Interesse daran gehabt haben, Gareth zu töten, der nicht einmal
bewaffnet war?«
»Wer schon?«
»Sie wollten gar nicht kämpfen. Sie
sollten dabei sein, weil ich’s angeordnet hatte. Außerdem ist Lanzelot Gareths
bester Freund. Der Knabe war mit der Familie Ban befreundet. Das ist doch
unmöglich. Seid Ihr sicher, daß Ihr Euch nicht irrt?«
Plötzlich füllte Gawaines Stimme den Raum:
»Mordred, wer hat meine Brüder getötet?«
»Wer schon?«
Er eilte auf den Buckligen zu wie ein
Rasender.
»Wer, wenn nicht Sir Lanzelot, mein
strammer Freund.«
»Lügner! Ich muß gehn und nachsehn.«
Er polterte aus dem Gemach, so vehement,
wie er auf seinen Bruder losgestürmt war.
»Aber, Mordred, bist du sicher, daß sie
tot sind?«
»Gareths Kopf war halb ab«, sagte er ohne
Gefühlsregung, »und er hatte einen überraschten Ausdruck auf dem Gesicht.
Gaheris hatte keinen Ausdruck, weil sein Schädel in der Mitte gespalten war.«
Der König war eher verwirrt denn entsetzt.
Nachdenklich und bekümmert sagte er: »Lanz kann’s nicht gewesen sein. Er hat
sie gekannt… Er hat sie geliebt. Sie hatten keinen Helm auf – also konnte er
sie gut erkennen. Gareth hat er zum Ritter geschlagen. So etwas hätte er nie
und nimmer getan.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Ihr sagtet doch, er hätte es getan.«
»Das habe ich.«
»Es muß ein Irrtum gewesen sein.«
»Es muß ein Irrtum gewesen sein.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Ich will damit sagen, daß der reine und
furchtlose Ritter vom See, der Euch mit Eurer Erlaubnis Hörner aufgesetzt und
Eure Frau entführt hat – daß der sich das Vergnügen machte, vor seinem Abgang
meine beiden Brüder zu ermorden. Beide waren unbewaffnet, und beide waren seine
geliebten Freunde.«
Arthur ließ sich auf der Bank nieder. Der
kleine Page, der mit den gewünschten Getränken kam, verbeugte sich.
»Euer Wein, Sir.«
»Ich will ihn nicht haben.«
»Sir Lucan, der Butler, fragt an, Sir, ob
er Hilfe haben kann, die Verwundeten hereinzubringen, Sir, und ob Verbandstoff
da ist?«
»Frag Sir Bedivere.«
»Ja, Sir.«
»Page«, rief er, als der Knabe sich zum
Gehen anschickte.
»Sir?«
»Wie viele Verluste?«
»Es heißt: zwanzig Ritter tot, Sir. Sir
Belliance der Stolze, Sir Segwarides, Sir Griflet, Sir Brandiles, Sir Aglovale,
Sir Tor, Sir Gauter, Sir Gillimer, Sir Reynolds drei Brüder, Sir Damas, Sir
Priamus, Sir Kay der Fremde, Sir Driant, Sir Lambegus, Sir Herminde, Sir
Pertilope.«
»Und Gareth und Gaheris?«
»Von denen habe ich nichts gehört, Sir.«
Schluchzend, noch im Laufen, war der rote,
riesige Mann wieder im Saal aufgetaucht. Wie ein Kind rannte er auf den König
zu.
»Es stimmt«, brachte er hervor, vom Weinen
geschüttelt, »es stimmt! Ich hab’ ein’ Mann gesehn, der dabei gewesen ist. Der
arme Gaheris und unser Brüderchen Gareth – er hat sie beide umgebracht. Und sie
waren ohne Waffen.«
Er fiel auf die Knie. Er begrub seinen
sandweißen Kopf im Mantel des alten Königs.
KAPITEL 9
An einem hellen Wintertag, sechs Monate
später, wurde Joyous Gard eingeschlossen. Die Sonne schien im rechten Winkel
zum Nordwind; die Ostseite der Ackerfurchen blieb also weiß, von Rauhreif
bedeckt. Außerhalb der Burg suchten die Stare und Kiebitze im erstarrten Gras
emsig nach Nahrung. Die Laubbäume standen als Skelette da, wie Lehrtafeln zur
Veranschaulichung der Adern oder des Nervensystems. Die Kuhfladen knarrten,
wenn man darauf trat, wie Holz. Alles hatte die Farbe des Winters: das
ausgebleichte Flechtengrün, gleich einem einstmals grünen Samtkissen, das jahrelang
in der Sonne gelegen hat. Die Adern-Bäume hatten an den Stämmen einen Flor, wie das
Kissen. Die Koniferen trugen ihn über ihrer ganzen Begräbnis-Draperie. Auf den
Pfützen und im gefrorenen Burggraben knisterte das Eis. Joyous Gard selber
ragte empor – ein schönes Bild, beleuchtet von einer matten Sonne.
Lanzelots Burg war kein drohendes Bauwerk.
Die altmodischen Forts aus der Zeit von Arthurs Thronbesteigung hatten einer
Festungsarchitektur von festlicher Fröhlichkeit Platz gemacht, die man sich
heutzutage nur schwer vorstellen kann. Man darf nicht an die zerfallenen
Bollwerke denken, die man in unsern Tagen sieht, an Ruinen,
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