Der König auf Camelot
scheint«, sagte Merlin
eines Nachmittags und blickte ihn über seine Brille hinweg an, »es wäre an der
Zeit, wieder etwas für deine Bildung zu tun. Wäre, würde, wird, ist –
jedenfalls Zeit.«
Es war ein Nachmittag im Frühling, und draußen sah
alles prächtig aus. Der winterliche Schneemantel war verschwunden, und mit ihm
Sir Grummore, Master Twyti, King Pellinore und das Aventiuren-Tier –
welchselbiges sich durch Güte und Brot und Milch wieder erholt hatte. Es hatte
sich mit allen Anzeichen der Dankbarkeit in den Schnee gestürzt, und zwei
Stunden später war ihm der aufgeregte König gefolgt, und die Zuschauer auf den
Zinnen hatten beobachtet, wie es, als es den Rand des Reviers erreichte,
höchst ingeniös seine Spuren im Schnee verwischte. Es lief rückwärts, es machte
Seitensprünge von zwanzig Fuß, es fegte die Fährte mit dem Schwanz hinweg,
balancierte über waagrechte Äste und vollführte mit offensichtlicher Freude
noch etliche andere Tricks. Auch hatten sie gesehen, wie König Pellinore – der
brav die Augen geschlossen hielt und bis zehntausend zählte, während dies
geschah – große Verwirrung zeigte, als er an der schwierigen Stelle anlangte,
und schließlich, von seinem Hunde gefolgt, in der falschen Richtung
losgaloppierte.
Es war ein prachtvoller Nachmittag. Vom Fenster des
Schulzimmers aus konnte man sehen, daß die Lärchen im fernen Forst bereits ihr
leuchtendes Grün angelegt hatten; die Erde funkelte und glitzerte von
Millionen Tropfen, und jeder Vogel auf der Welt war heimgekommen, um zu werben
und zu singen. Die Dörfler waren jeden Abend in ihren Gärten zugange und legten
Bohnen, und mit den Bohnen kamen die Wegschnecken, dazu Knospen und Lämmer und
Vögel – kurz: es schien, als hätten sich sämtliche Lebewesen verschworen, auf
einmal hervorzutreten.
»Was möchtest du denn gerne sein?« fragte Merlin.
Wart schaute zum Fenster hinaus und lauschte dem Tau-Gesang der Drosseln, der
zweimal täglich stattfand.
Er sagte: »Ich bin ja mal ein Vogel gewesen, aber
das war nachts und im Käfig, ich hatte also nie die Möglichkeit zu fliegen.
Auch wenn man keinen Bildungsgang zweimal machen soll – meint Ihr, ich könnt’
ein Vogel werden, um das zu lernen?«
Ihn hatte der Vogel-Wahn erwischt, wie’s allen empfindsamen
Menschen im Frühling ergeht und was manchmal sogar zu solchen Exzessen wie dem
Nisten führt.
»Ich sehe keinen Grund, weshalb nicht«, sagte der
Zauberer. »Wie war’s mit heute nacht?«
»Aber nachts schlafen sie doch.«
»Um so besser; dann kannst du sie sehen, ohne daß
sie davonfliegen. Du könntest heute abend mit Archimedes losziehen – der
erzählt dir dann alles.«
»Würdest du das tun, Archimedes?«
»Liebendgern« sagte die Eule. »Mir war sowieso nach
einem kleinen Bummel zumute.«
»Wißt Ihr«, fragte Wart, der an die Drossel dachte,
»warum Vögel singen, oder wieso? Ist das eine Sprache?«
»Natürlich ist’s eine Sprache. Es ist keine so
vielfältige Sprache wie die menschliche Rede, aber ausdrucksreich ist sie
schon. – Gilbert White«, sagte Merlin, »bemerkt – oder wird bemerken, wie auch
immer du’s formulieren willst –: ›Die Vogelsprache ist sehr alt, und wie in
anderen alten Sprach-Modi wird mit ihr wenig gesagt, doch viel ausgedrückt.‹
Auch sagt er irgendwo: ›Die Krähen versuchen in der Brutzeit bisweilen, aus
lauter Herzensfreude zu singen – doch ohne großen Erfolg‹.«
»Krähen hab’ ich gern«, sagte Wart. »Merkwürdig,
aber ich glaube, es sind meine Lieblingsvögel.«
»Weshalb?« fragte Archimedes.
»Na ja, sie gefallen mir halt. Mir gefällt ihre
Unverschämtheit.«
»Nachlässige Eltern«, zitierte Merlin, der in
schulmeisterlicher Stimmung war, »und unverschämte, vertrackte Kinder.«
»Stimmt«, sagte Archimedes nachdenklich. »Alle
corvidae haben einen etwas ausgefallenen Humor.«
Wart erklärte.
»Mir gefällt’s, wie sie fliegen – so richtig
hingegeben. Sie fliegen nicht einfach, wie andere Vögel, sondern sie fliegen,
weil’s ihnen Spaß macht. Ich find’s schön, wie sie abends gruppenweise ihren
Schlafbaum aufsuchen – sie sind fröhlich und machen grobe Bemerkungen und balgen
sich ziemlich rüde rum. Manchmal drehen sie sich auf den Rücken und purzeln aus
der Luft, nur weil’s lächerlich ist, oder aber sie vergessen völlig, daß sie
gerade fliegen, und kratzen sich plötzlich wie verrückt, weil die Milben
beißen.«
»Es sind intelligente Vögel«, sagte
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