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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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seiner Hand zitterte, als sei sie ein lebendiges Wesen.
    David schlug die Augen auf. Max stand in der Tür. Der Junge wirkte besorgt, und die Augen hinter seiner riesigen Brille sahen noch größer aus als sonst.
    »Du hast geschrien«, sagte er. »Als hättest du einen Alptraum oder so.«
    »Hatte ich auch«, sagte David betreten. »Aber jetzt ist alles in Ordnung. Dein Zimmer gefällt mir, Max.«
    »Wirklich?« Der Junge schien sich geschmeichelt zu fühlen, so, als hätte nie zuvor jemand das Zimmer auch nur wahrgenommen.
    »Ja. Deine ganzen Sachen – da hast du ganz schön was beeinander. Welches hast du am liebsten?«
    »Spielzeug oder Tier?«, fragte Max. Er war ins Zimmer getreten und stand jetzt neben dem Bett.
    »Beides.«
    »Na, das ist leicht. Mein liebstes Tier ist Fluff«, sagte er und nahm einen abgewetzten schwarzweißen Teddybären von einem der Bücherregale. »Ich nehme ihn gern zum Schlafen, aber Papa sagt, ich muss damit aufhören, weil ich jetzt groß werde. Und mein liebstes Spielzeug …« – Max ließ seinen Blick durchs Zimmer gleiten und überlegte scharf – »ist … mein Roboter«, sagte er schließlich und hielt einen silbrigen Androiden mit plattem Gesicht und kegelartigem Kopf hoch, der dort, wo sich normalerweise der Bauch befand, ein kompliziertes Steuerungsfeld hatte. In den Deckel des Batteriefachs auf der Rückseite war »Robbie, der Roboter« eingraviert.
    »Ja, eine gute Wahl. Ich denke auch, der ist der Beste«, sagte David. »Ist Robbie deine Lieblingsfigur?«
    »Ja, eine davon.« Max wirkte unkonzentriert, als wolle er etwas sagen, ohne jedoch die richtigen Worte zu finden.
    »Was ist los?«, fragte David.
    »Das war dein Zimmer, stimmt’s? Als du ein Kind warst?«
    »Ja, das war es mal, vor langer Zeit. Jetzt ist es aber deines. Und es sieht jetzt auch viel besser aus, als ich das je hingekriegt habe.«
    »Findest du? Danke«, sagte Max. Wieder hatte David den Eindruck, der Junge würde das, was er gerade gehört hatte, sorgfältig archivieren, um dann später genauer darüber nachzudenken. Das war eine seltsame Angewohnheit, aber irgendwie gefiel sie David.
    »Ich muss jetzt schlafen«, sagte er. »Aber durch unser Gespräch fühle ich mich viel besser. Das heißt: keine Alpträume mehr. Versprochen.«
    Max nickte und ging aus dem Zimmer, den Roboter und den Teddybär immer noch in der Hand. Dann konnte David gedämpft hören, wie unten der Fernseher angestellt wurde – bei seinem letzten Besuch hatte es noch keinen gegeben.
    Es war wirklich so: Mit seinem Halbbruder zu reden, hatte ihm gut getan – er fühlte sich ruhiger und unbeschwerter, und indem er sich zur Seite drehte, sank er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
     
    Er wachte schlagartig auf. Seine Mutter rüttelte ihn. »Du musst los. Ben ist wieder da.«
    »Aber du hast doch eins gesagt«, sagte er und blickte verschlafen auf seine Uhr. Es war erst fünf vor zwölf.
    »Das habe ich auch. Aber er ist früher heimgekommen. Deswegen. Ich hab dir ein paar Sandwiches gemacht«, sagte sie und hielt eine Plastiktüte hoch. »Du kannst zur Hintertüre raus. Er wird dich nicht hören, wenn du leise bist.«
    »Und meine Waffe?«, fragte er, während er in seine Anziehsachen schlüpfte.
    »Lass sie da! Ich werd sie irgendwie verschwinden lassen. Undwenn sie kommen, sage ich ihnen, dass du keine mehr bei dir hast. Sie schießen nicht, wenn einer unbewaffnet ist.«
    Ihre Stimme klang nachdrücklich, ja beinahe flehentlich, und noch Tage und Wochen danach fühlte David sich wohl bei dem Gedanken, dass sie sich um ihn gesorgt hatte. Jetzt war ihm das aber völlig gleichgültig: Er musste unbedingt die Waffe haben.
    Unten hörte er die bellende Stimme seines Stiefvaters, die sich mit den Geräuschen des Fernsehers vermischte.
    »Ich sorge dafür, dass er im Wohnzimmer bleibt. Du gehst durch die Küche und dann hinten raus. Die Türe ist offen«, sagte sie, während sie schon in der Tür stand.
    »Ich brauche die Waffe«, insistierte er, aber sie war schon verschwunden.
    David trug die Jeans und Schuhe von vorher, dazu das viel zu große Hemd und die Strickjacke seines Stiefvaters, und darüber noch die Jacke, die er vergangene Nacht gestohlen hatte, als er mit der Essenstüte in der Hand auf Zehenspitzen die Treppe hinunterschlich. Auf halbem Weg hielt er inne, um den Stimmen im Wohnzimmer jenseits des Flurs zu lauschen. Für einen Moment fühlte er sich, als sei er wieder ein Kind, als würde er im Halbdunkel seine Eltern

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