Der König Der Komödianten: Historischer Roman
das. Aber ich will von Anfang an wissen, wie es sich anfühlt. Heute ist für mich ein großer Tag: Zum ersten Mal verkörpere ich einen weiblichen Part bei den Innamorati! Ich kann es immer noch nicht glauben!«
Ich konnte es auch nicht glauben, denn die zu dem Kleid passende Rolle der Rosalinda sollte nach meinem bisherigen Wissensstand nicht von Cipriano, sondern von Caterina gespielt werden.
Cipriano kam meiner Frage zuvor. »Caterina hat die Rolleder Rosalinda mir überlassen, Marco. Sie wusste, wie sehr ich es mir wünsche.«
»Ach«, sagte ich lahm. »Das ist aber großzügig von ihr.«
»Na ja, sie tat es wohl weniger aus Großzügigkeit, sondern weil ihr die Umgestaltung der Rolle missfiel.«
»Welche Umgestaltung?«
»Sie mag es nicht, dass Leandro sich zuerst in Rosalinda verliebt, dann aber zu Aurelia umschwenkt. Baldassarre hat uns heute Morgen von dieser dramaturgischen Änderung berichtet.«
Ich fühlte mich übergangen, konnte aber schlecht Einwände erheben, denn ich hatte ja die Idee von Leandros Sinneswandel inzwischen selbst gutgeheißen und umgesetzt. Dass Caterina sich darüber ärgern könnte, hatte ich allerdings nicht bedacht. Ich musste ihr unbedingt erklären, dass es lediglich der Dramaturgie diente und keinesfalls der Schmähung ihrer Person!
»Wo ist Caterina denn jetzt?«
»Keine Ahnung«, sagte Cipriano. »Irgendwo in der Stadt unterwegs.«
»War sie sehr aufgebracht?«, fragte ich beunruhigt.
»Ziemlich.«
Ich erschrak, doch Cipriano beruhigte mich. »Nicht deinetwegen, Marco. Sie hat mal wieder mit Bernardo gestritten. Mit dem Stück hatte das nichts zu tun, eher mit diesem Razzi.«
Letzterer war, wie ich sodann von Cipriano erfuhr, zwischenzeitlich hier gewesen und unter dem Vorwand, im Auftrag des Zehnerrats Morosini nach dem Rechten sehen zu wollen, um Caterina herumscharwenzelt, jedenfalls war das Bernardos Sicht der Dinge. Bernardo hatte Razzi mit dem Degen bedroht, und auch Razzi hatte blankgezogen, worauf Caterina dazwischenging und gleichzeitig Razzi bat, sich zu entfernen. Danach zerstritt sie sich mit Bernardo und verließ zornig das Haus.
»Es ist jedes Mal dasselbe Lied mit den beiden«, sagte Cipriano. »Fast so, als gebe es ein Gesetz, dass sie alles ruinieren müssen. Venedig ist die Erfüllung unserer Träume, ein wahres Paradies für Schauspieler. Aber das hausgemachte Unheil wartet dank Caterina und Bernardo immer nur eine Nasenlänge voraus.«
Es war an der Zeit, alle für die Probe zusammenzurufen. Ich machte mich auf die Suche nach Rodolfo. Er half Franceschina in der Küche bei der Zubereitung des Vespermahls. Beide rochen nach Bratfisch und machten einen aufgeräumten Eindruck.
Ich nutzte die Gelegenheit, ihn nach der Herkunft der Zwillingsgeschichte zu befragen, die er mir erzählt hatte, doch er wusste nichts Genaueres. In einer Schenke habe er Reisende darüber reden hören, die hätten davon gesprochen, als sei es eine wahre Begebenheit, was er wenig später zum Anlass genommen habe, sich darüber mit Henry auszutauschen, wegen der spannenden Thematik.
Danach war ich so klug wie zuvor.
Kurz darauf versammelten sich alle im Portego, und die Probe für das neue Stück konnte beginnen.
Rodolfo heftete den fertigen Teil des Canovaccio mit Wachs an eine der Säulen, sodass jeder bei Bedarf hingehen und einen Blick darauf werfen konnte. Henry war sofort Feuer und Flamme, als Cipriano ihm vorschlug, Szenenanweisungen zu erteilen, falls jemand feststeckte. Der Engländer stellte sich vor die Säule und studierte aufmerksam den Text.
»Was Ihr wollt«, las er. »Ein ungewöhnlicher Titel für ein Stück!«
»Heißt es so?« Cipriano trat hinter ihn. »Da steht: Titel: Steht noch nicht fest, nehmt was Ihr wollt.« Er lachte. »Henry, das Stück hat noch keinen Titel. Marco hat uns anheimgestellt,einen auszusuchen, der uns gefällt. Aber das Missverständnis liegt nahe.«
Gutmütig stimmte Henry in Ciprianos Lachen ein und behauptete, der Titel gefalle ihm trotzdem, auch wenn es gar keiner sei.
Bevor es losging, trug ich allen Anwesenden noch einmal Satz für Satz den Inhalt der ersten Szene vor, damit jeder gemäß seiner Rolle improvisieren konnte.
Das Stück fing mit einem Auftritt Leandros an, der als Schiffbrüchiger an Land gespült wird und mit letzter Kraft die Gestade der venezianischen Lagune erreicht.
Torkelnd betrat Bernardo die Bühne und erging sich in verzweifelten Beschreibungen seiner Not. Er schaffte es, den tobenden Sturm
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