Der König Der Komödianten: Historischer Roman
mein Blick hinter die Spanische Wand. Das Bett, das dort stand, war breiter als erwartet, zumindest breiter als mein eigenes Nachtlager. Es bestand aus einem festen Holzgestell mit Kopf- und Fußteil und einer ordentlichen Matratze, und bezogen war es mit frischem Leinen. Neben dem Bett stand ein Tischchen mit einem Handspiegel, einem Kamm und einer Waschschüssel, und davor eine schmale Wäschetruhe. Unter dem Bett waren die Spitzen von zwei sauber aufgereihten Schuhpaaren zu sehen.
Im Gegensatz zu dem bunten Durcheinander, das den restlichen Teil des Raums bestimmte, zeugte der Bereich hinter der Spanischen Wand von ausgeprägtem Ordnungssinn.
Dann sah ich, was auf dem Kopfkissen lag (ich musste scharf hinschauen, weil ich es nicht auf Anhieb erkannte): eine zerfledderte Stoffpuppe.
Elena folgte meinem Blick und schob sich vor die Puppe, als müsse sie diese beschützen. »Nicht, dass du denkst, ich bräuchte noch Spielzeug. Ich habe sie nur aus Sentimentalität behalten, weil mein Vater sie mir einst schenkte und sie das einzige Erinnerungsstück an ihn ist.«
Befangen senkte ich die Augen. Mit einem Mal fühlte ich mich wie ein Eindringling. Ich hatte kein Recht, diesen privaten Ort zu betrachten. Und doch drängte es mich danach, weil es mich Elena auf eine ungewohnte Weise sehen ließ. Fast war es, als würde ein Vorhang zur Seite gezogen und dabei jemand sichtbar, den ich noch nicht kannte. Wie sie dort stand, vor ihrem Bett mit der Puppe und den wenigen Habseligkeiten, wirkte sie nicht länger spröde und überlegen, sondern seltsam verloren.
Hatte ich die ganze Zeit zuvor ständig daran denken müssen, sie zu küssen und an gewissen verbotenen Stellen zu berühren, so mischte sich nun in dieses Begehren eine andere, mindestens genauso starke Empfindung. Es war der Wunsch, sie zu halten. Sie in die Arme zu nehmen und meine Wange an ihre zu legen. Ihren Herzschlag zu fühlen und sie atmen zu hören.
»Elena«, sagte ich und kam mir über die Maßen töricht dabei vor. »Eines musst du wissen. Du bist tausend Mal schöner als Adelina. Und du riechst auch viel besser. Niemand riecht so gut wie du.«
Sie sagte kein Wort, sondern holte nur tief Luft. Das Verlangen, ihr nah zu sein, wurde übermächtig. Kurz flackerte das Nachtlicht zu unseren Füßen auf, als ich zu ihr trat. Ich kam mir linkisch vor, als ich die Hand hob und an ihre Wange legte, und meine Finger schienen mir viel zu grob für ihre zarte Haut. Doch dann neigte sie leicht den Kopf und schmiegte ihr Gesicht in meine Hand.
Das war alles, was ich an Aufforderung brauchte.
Die Kerze ging aus, als ich Elena in die Arme nahm, doch wir brauchten kein Licht. Wir hatten ja uns.
Und das Bett.
Als ich zu mir kam, herrschte um mich herum graues Dämmerlicht. Der Nachhall eines Traums bewegte mich: Ich hatte das perfekte Sonett gedichtet! Die vollkommensten aller Reime waren mir eingefallen, von so einzigartiger Schönheit, dass die ganze Welt sich davor verneigen musste.
Die Erinnerung an das Sonett war leider äußerst flüchtig. Hatte ich es eben noch in all seinen makellosen Einzelheiten vor meinem geistigen Auge gehabt, war es im nächsten Augenblick auch schon verschwunden wie Rauch im Wind. An seine Stelle trat der Schreck.
Ich hatte gesündigt! Hatte einem unbescholtenen Mädchen die Unschuld geraubt!
Das war für sich betrachtet schon schlimm genug, doch noch schlimmer war, dass ich immer noch bei ihr lag und meine Arme um sie geschlungen hatte. Und dabei von derselben Wollust erfüllt war wie in der Nacht. Ich hätte auf der Stelle erneut sündigen können, sogar auf die Gefahr hin, dass es ähnlich unzureichend verlief wie beim ersten Mal. Da war alles schon vorbei gewesen, kaum, dass wir angefangen hatten, und zu meiner Beschämung hatte Elena dabei eher Schmerz als Lust empfunden. Meine gestammelten Entschuldigungen hatte sie jedoch kurz abgetan und behauptet, das sei normal beim ersten Mal. Und sie fände es schön, in meinen Armen zu liegen und von mir gehalten zu werden.
Das fand ich auch, und so waren wir in inniger Umarmung eingeschlafen.
Unten im Haus hörte ich es rumoren, wahrscheinlich Iseppo, der sich schon fragte, warum ich nicht zurückgekommen war, nachdem er die Wache übernommen hatte. Oder aber – und das war weit naheliegender, denn anderenfalls hätte er längst Zeter und Mordio geschrien – er fragte sich nicht , weil er den Grund bereits erfahren hatte, indem er nachgesehen und dabei herausbekommen hatte, was
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