Der König Der Komödianten: Historischer Roman
Kehricht fressen.
Nur der, dem Krankheit Arg hat zugemessen.
Er muss es tun, soll selb’ge ihn nicht töten.
So frisst der Mensch, fühlt er sich auch in Nöten.
Was daran liegt, dass and’re ihn erpressen.
Sie können seine Qualen nicht ermessen.
Sie halten diese Prozedur vonnöten.«
Elena nahm seine Hand. »Großvater, du musst nicht essen, wenn du keinen Hunger hast!« Zu Iseppo sagte sie: »Stell den Teller weg!«
Iseppo zuckte zusammen. »Natürlich«, sagte er beflissen. Zu meiner Verblüffung fuhr er reimend fort:
»Ihr wisst, Belohnung winkt nach diesem Mahl.
Nach ein paar Bissen ist Euch Labsal nah.
Stellt Euch nur vor, wie lecker Euch das schmeckt!
Doch muss der Brei verzehrt sein, das ist klar.
Wie rasch das geht, steht ganz in Eurer Wahl.
Das, was danach kommt, hab ich gut versteckt.«
»Gut gedichtet«, brummte Baldassarre. »Du lernst wahrhaftig schnell. Und jetzt her mit dem Brei. Je eher er weg ist, desto besser.«
Und schon aß er weiter, diesmal deutlich schneller als vorher.
»Das war ein Sonett«, sagte ich erstaunt. »Iseppo, du kannst ja aus dem Stegreif Sonette dichten!«
Er errötete stolz. »Ich lerne es gerade.«
»Es scheint dem Alten tatsächlich besser zu gehen«, sagte ich draußen auf dem Gang zu Cipriano. »Er dichtet so schmissig wie immer. Und er hat nicht mal diesen ekelhaften Brei verschmäht.«
»Den isst er nur, um hinterher den halben Becher Wein zu kriegen, den der Arzt ihm zu Heilzwecken nach jeder Mahlzeit genehmigt hat. Mit der Betonung auf nach . Iseppo hält die Flasche solange unter Verschluss.« Cipriano grinste. »Für einen, der aus dem Kloster kommt, kann er gut reimen, was? Es scheint, als hätte er ungeahnte Fähigkeiten.«
Dem konnte ich nur zustimmen.
Gern hätte ich noch auf eine Möglichkeit gewartet, mit Elena unter vier Augen zu sprechen, über Giovanni, über denzweiten Stock, vor allem aber über das, was wir beide letzte Nacht getan hatten, doch Cipriano war bereits im Aufbruch begriffen, und so blieb mir nichts anderes übrig, als mitzugehen.
Rodolfo war wie üblich mit von der Partie, was ganz in meinem Sinne war, seit feststand, dass jederzeit der zu allem entschlossene Prior wieder auftauchen konnte.
Der Morgen war trotz der sommerlichen Temperaturen der letzten Tage überraschend kühl. Nebelschwaden verhüllten die Gassen und verwandelten die Kanäle in undurchdringliche Schlünde, die zwischen den Häusern in ein verschwommenes Nichts führten. Über dem grauweißen Gewaber wartete die Sonne darauf, die Stadt mit Licht und Wärme zu füllen, doch es mochte noch Stunden dauern, bis der Nebel sich verzog, und so legten wir den Weg zum Dogenpalast durch dicken Dunst zurück. Er verschluckte die Geräusche unserer Schritte und ließ davon nur ein dumpfes Tappen übrig, das dennoch laut genug war, um als hohles Echo von den Hauswänden widerzuhallen.
Auch die Piazza San Marco lag im Nebel verborgen. Man konnte kaum die Mohren auf dem Uhrturm sehen, und die Kuppeln der Basilika verschwanden gänzlich in der trüben Suppe. Trotz der unwirtlichen Witterung waren viele Menschen auf dem Platz unterwegs. Kaufleute, Hafenarbeiter, Marktfrauen, Offiziere und Edelleute, alle wurden sie jäh vom Nebel ausgespien, der sie schon nach wenigen Schritten wieder aufsog, kaum, dass sie unseren Weg gekreuzt hatten. Einmal kam uns einer der Saufkumpane Giovannis entgegen, doch er war zu betrunken, um mich zu erkennen. Offenbar hatte er die Nacht durchgezecht und kaum noch die Kraft, heimwärts zu wanken.
Vor der Porta della Carta erwartete mich eine weitere unangenehme Begegnung, und diesmal war der Betreffende weder betrunken noch kraftlos.
»Verdammt«, murmelte ich.
Aldo blieb stocksteif in dem Durchgang zwischen Dogenpalast und Basilika stehen, als er meiner ansichtig wurde. Seine Hand fuhr an seinen Gurt, wo wieder ein Dolch stak. Er riss ihn heraus und hielt ihn vor sich, bereit zum Zustoßen.
Rodolfo tat zwei Schritte vorwärts, angelegentlich mit dem Griffholz seines Morgensterns spielend. Aldo prallte zurück, und der Dolch verschwand, ebenso wie einen Atemzug später sein Besitzer, der sich seitlich unter den Arkaden des Dogenpalastes in Richtung Mole davonmachte und gleich darauf vom Nebel verschluckt war.
»Sie haben ihn freigelassen«, stellte Cipriano besorgt fest. »Ab sofort müssen wir uns noch mehr vorsehen.« Er klopfte Rodolfo auf die Schulter. »Sagte ich dir schon, wie glücklich die Incomparabili sich schätzen
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