Der König Der Komödianten: Historischer Roman
dermaßen deprimierte, dass ich mich in meine Kammer zurückzog.
Wie konnte ein einziger Autor so produktiv sein? Wo nahm der Kerl die vielen Ideen her? Ich wog die Fakten, die ich von Henry gehört hatte, gegeneinander ab und kam nach einigem Überlegen zu dem Schluss, dass dieser Will bloß deswegen schrieb wie der Teufel, um dem schweren Ehejoch zu entfliehen. Auf dem Lande erwarteten ihn die Bürde der Ehe und drei greinende kleine Kinder – wer würde da nicht das freie Künstlerleben in der Metropole London vorziehen, und sei esum den Preis, sich Krähe schimpfen zu lassen? Oder um jenen, zu schreiben und zu schreiben, immer weiter, bis die Finger bluteten und der Kopf sich anfühlte wie ein ausgewrungener Wischlappen?
Warum aber, zum Teufel, konnte ich nicht schreiben? Wieso schaffte ich es nicht, einen läppischen dritten Akt zu Papier zu bringen? Nachdem zwei Akte fertig waren, sollte sich der letzte wie von allein schreiben, jedenfalls hatte Bernardo das behauptet, gerade eben noch, beim Abendessen, zwischen dem zweiten und dem dritten Becher Grappa. Er selbst sei über das Schreiben hinausgewachsen, hatte er dazu angemerkt. Mittlerweile habe er festgestellt, dass es eine Spielerei für Knaben sei, die davor zurückschreckten, ganze Männer zu sein. Nach dieser Äußerung hatte er innegehalten, einen lauten Rülpser getan und hinzugefügt, dass ich das keinesfalls als Beleidigung auffassen dürfe. Schließlich habe er selbst bis vor Kurzem auch geschrieben, und das sogar richtungsweisend. Ich solle das Schreiben als Katharsis begreifen, dann würden Werke dabei herauskommen, die vielleicht nicht bahnbrechend, aber sicher beachtlich seien.
Der Gedanke an eine Katharsis war verlockend. Alles war verlockender, als untätig und allein herumzuhocken. Vielleicht war eine Katharsis genau das, was ich brauchte?
Die nötige Ruhe hatte ich, Raum zur inneren Einkehr war vorhanden. Inzwischen musste ich meine Kammer nur noch mit Iseppo teilen. Baldassarre bedurfte keiner Krankenwache mehr und nächtigte daher wieder in seinem Gemach im Piano Nobile. Auf Geheiß des Arztes, der noch zwei Mal da gewesen war, hütete der Alte zwar nach wie vor die meiste Zeit des Tages das Bett, doch er konnte zwischendurch aufstehen und umhergehen, »damit die alten Glieder nicht erschlaffen«, wie der Arzt es formuliert hatte. Baldassarre durfte wieder abwechslungsreichere Kost zu sich nehmen, und die zulässige Weinmenge war verdoppelt worden. Er war ganz eindeutigauf dem Wege der Besserung. In zwei Wochen wollte er das erste Mal – mit Erlaubnis des Arztes – wieder auf der Bühne stehen.
Ich merkte, dass meine Gedanken abermals abgedriftet waren. Kaum versuchte ich, mich auf das Schreiben zu konzentrieren – oder wenigstens auf dessen mögliche kathartischen Funktionen – kam mir unweigerlich allerlei Belangloses in den Sinn, das nur das Ziel verfolgte, mich von der einzig zentralen Sache abzulenken: dem Schreiben.
Dabei wäre es so leicht. Ich musste zunächst nur einen Satz zu Papier bringen, dann noch einen, und danach einen dritten. Und schon käme alles wieder in Fluss. Diesen Ratschlag hatte Henry mir erteilt, nachdem ich ihm auf sein Befragen hin gestanden hatte, dass ich nach einer Schaffenspause leider gerade feststeckte. Grundsätzlich fand ich Henrys Empfehlung sehr vernünftig. Bloß fiel mir der verdammte erste Satz nicht ein.
Soeben hatte ich einen weiteren, besonders kunstvollen Schnörkel auf eine der letzten freien Stellen des vor mir liegenden Blattes appliziert, als ich von draußen erregte Stimmen hörte. Das klang nach Ärger!
Erleichtert legte ich die Feder weg und stand auf, um hinauszugehen.
Im Innenhof hatten sich Cipriano, Rodolfo und der Jude Isacco versammelt. Während ich mich ebenfalls dazugesellte, sah ich Elena die Treppe herabkommen. Als sie mich sah, machte sie jedoch auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder im Haus.
Ihr Pech, dachte ich grollend. Wer so kindisch war, musste eben damit vorliebnehmen, nur aus zweiter Hand von wichtigen Gesprächen zu erfahren. Und wichtig war das Gespräch ganz sicher, sonst wären die Beteiligten nicht so laut geworden.
»Auf keinen Fall!«, rief Cipriano gerade. »Zwei Öfen sind ausgemacht, und dabei bleibt es!«
»Ich will mit dem Alten verhandeln, mit dem ich das Geschäft abgeschlossen habe.«
»Er ist herzkrank und darf sich nicht aufregen. Ich bin sein Stellvertreter. Das Geschäft wird abgewickelt wie ursprünglich ausgehandelt. Zwei
Weitere Kostenlose Bücher