Der König Der Komödianten: Historischer Roman
Dinge zu denken und sie aufzuschreiben war immer schon zweierlei. So fallen mir auf Anhieb oft herrliche Verse ein, sogar gereimte nach Art des Dante, wie der von eben. Sie kommen einfach aus mir heraus, ohne dass ich viel dazutun müsste – aber wenn ich sie dann zu Papier bringen will, habe ich sie schon wieder vergessen.«
»Das ist … fatal«, sagte ich mitfühlend. Mir kam ein Gedanke. »Wenn Ihr wollt, kann ich die Verse für Euch aufschreiben!«
»So etwas kannst du?«
»Ja, meine Orthographie ist ordentlich und meine Schrift leserlich, jedenfalls hat das Onkel Vittore immer gesagt. Im Kloster war ich Gehilfe des Scriptors. Und ich kann mir gut Texte merken. Den von vorhin würde ich auch morgen noch wissen. Oder nächste Woche. Oder wann immer Ihr wollt.«
»Du bist ein guter Junge.« Baldassarre war gerührt. »Aber es würde nicht viel helfen. Meine Arme sind inzwischen viel zu kurz zum Lesen.« Er lachte wie über einen guten Witz, und ich starrte ihn dümmlich an, bis mir klar wurde, was er meinte – ein Phänomen, das ich sowohl bei Onkel Vittore als auch im Scriptorium bei Bruder Ottone beobachtet hatte, der Schriftstücke zum Lesen oft auf Armlänge von sich weghielt und zum Schreiben immer eine Scherenbrille benutzte.
Halbherzig lachte ich mit und fragte mich, ob ich von der langen Schlaflosigkeit allmählich begriffsstutzig wurde.
Hinzu kam die nagende Ungewissheit über das, was mich in diesem Badehaus erwartete. Zwar waren mir die Beschreibungen von Badehäusern aus römischer Zeit bekannt – Catull etwa sollte in seiner Villa am Gardasee eine eigene Thermalgrottebesessen haben –, jedoch hatte ich keine Vorstellung, wie ein zeitgenössisches Badehaus gestaltet war, abgesehen von einer beiläufigen Information, die ich einem Reisebericht aus dem vorletzten Jahrhundert entnommen hatte, demzufolge »in deutschen Städten Männer und Weiber, ohne dass diese Huren waren, zusammen im Bade saßen«.
Mit heftig klopfendem Herzen folgte ich dem Alten in das Haus, wo uns ein mürrischer Bader in feuchten Gewändern entgegentrat und das Eintrittsgeld verlangte. Ich überreichte ihm die geforderte Geldsumme und stellte dabei fest, dass von den mitgebrachten Münzen keine einzige übrig blieb; offenbar kannte Elena die exakten Preise.
Im Gegenzug händigte uns der Bader Leinentücher, Schwamm und Seife aus und wies uns den Weg in die Badekammer, ein niedriges, dampferfülltes, mit Steinplatten ausgelegtes Gelass, in dem mehrere große Zuber standen. In einer Ecke bullerte ein gewaltiger Kaminofen, der betäubende Hitze verbreitete. Über dem Feuer hing ein großer Kessel, in dem Wasser brodelte. An den Wänden befanden sich Holzbänke, auf denen schwitzende Menschen saßen, allesamt so nackt, wie Gott sie geschaffen hatte.
Mit einem raschen Rundblick vergewisserte ich mich, dass kein weibliches Wesen darunter war. Hin und her gerissen zwischen Enttäuschung und Erleichterung zog ich mich aus und deponierte meine Sachen in einem dafür vorgesehenen Regal. Während ich Baldassarre splitternackt und barfüßig zu einem der Zuber folgte, schleppte der Bader einen Kübel mit kochend heißem Wasser herbei und leerte ihn in den ohnehin schon heftig dampfenden Zuber, der so groß war, dass bequem drei Menschen darin Platz fanden. Über eine Leiter stieg Baldassarre hinein, was mir Aussicht auf einen faltigen Hintern und knochige Beine verschaffte, ein ähnlicher Anblick, wie ich ihn von Onkel Vittore kannte.
Der Alte seufzte vor Behagen, und ich tat es ihm aus vollemHerzen gleich, als ich neben ihm eintauchte. Was für eine unbeschreibliche Wohltat es war, mit dem ganzen Körper in heißem Wasser zu schwelgen! Nun konnte ich mir auch leicht vorstellen, welchen Genuss ein Besuch der Euganeischen Thermen mit sich bringen musste, und ich beschloss auf der Stelle, eines Tages das versäumte Thermalerlebnis nachzuholen.
Zu Hause auf unserem Gut hatten wir auch hin und wieder gebadet, meist vor hohen Feiertagen, doch war ich immer erst dann in den Zuber gestiegen, wenn Onkel Vittore fertig war, und da war das Badewasser kaum noch warm gewesen, ganz zu schweigen davon, dass ich in unserer Wanne nur zusammengekrümmt hatte sitzen können und der Wasserspiegel dabei kaum meine angezogenen Knie erreicht hatte.
In diesem gewaltigen Zuber hingegen schwamm man förmlich, es sei denn, man ließ sich auf einem der in Sitzhöhe befestigten Bänkchen nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Holzwand. In einem
Weitere Kostenlose Bücher