Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Leben. Kein sittenstrenger Vater, kein prügelwütiger Lehrmeister, keine übermächtige Großmutter, keine mahnenden Gildewächter, kein keifendes Weib. Frei.
So geräuschlos wie möglich wandte er sich ab, drängte sich dicht in den Schatten der Häuser, und als er den Platz hinter sich gelassen hatte, ließ er die wenigen Münzen in seinem Beutel klimpern und machte sich leise pfeifend auf den Weg, um seine Freiheit zu genießen. Kein Ort der Welt war dazu besser geeignet als London.
Am nächsten Morgen ritt Giselle in aller Frühe in Harrys Begleitung nach Westminster. Sie suchten die Königin auf und berichteten ihr triumphierend von den Ergebnissen ihrer Nachforschungen. Harry händigte ihr die gefälschten Dokumente wieder aus, und nachdem sie sich verabschiedet hatten, trug Philippa ihre Neuigkeiten nicht weniger frohlockend zum König.
Edward Plantagenet war ein Ehrenmann und kein Feigling. Darum ritt er höchstpersönlich zum Tower, nur begleitet vonWaringham und Dermond, um den zu Unrecht bezichtigten Ritter seiner Königin auf freien Fuß zu setzen. Das fiel ihm nicht leicht. Er zog die angenehmen Pflichten, die seine Königswürde mit sich brachte, entschieden vor, die Freigiebigkeit etwa oder den Krieg. Aber er wusste, was er Jonah Durham und seiner eigenen Ritterehre schuldig war.
Zusammen mit dem Constable betrat er das Quartier des Gefangenen im Salt Tower und wurde mit den Worten begrüßt: »Schert Euch zum Teufel, wer Ihr auch seid.« Die rüde Aufforderung kam hinter den geschlossenen Bettvorhängen hervor.
Der König räusperte sich nervös. »Master Durham. Jonah …«
Leises Klirren war zu vernehmen, und Jonah steckte den Kopf durch die Vorhänge. Als er feststellte, dass seine Ohren ihn nicht getrogen hatten, stand er auf und trat zwei Schritte näher.
»Wer hat das angeordnet?«, brauste der König auf und wies auf die Ketten.
Der Constable hob ratlos die Hände. »Ich habe nichts davon gewusst.« Er wandte sich zur Tür. »Sergeant!« Und als eine der Wachen erschien, befahl er: »Sofort abnehmen!«
»Ja, Sir.« Schleunigst nahm der Soldat seinen gewaltigen Schlüsselring vom Gürtel und befreite Jonah von Hand- und Fußketten.
Unbewegt sah Jonah zu.
Nachdem der Sergeant und der Constable verschwunden waren, räusperte der König sich erneut. »Master Durham, ich bin gekommen, um Euch mitzuteilen, dass das Missverständnis sich aufgeklärt hat.«
»Missverständnis, Sire?«
»Ganz recht. Und darüber hinaus bin ich gekommen, Euch zu sagen, dass ich bedaure, so leichtgläubig gewesen zu sein und an Euch gezweifelt zu haben. Werdet Ihr es mir sehr schwer machen?«
So schwer ich kann, dachte Jonah. »Wie käme ich dazu? Mein Leben gehört ohnehin Euch, nicht wahr? Ihr habt es einmal gerettet und könnt damit tun, was immer Euch beliebt. Darüber hinaus bin ich Untertan der Krone.«
Edward seufzte und sank auf den Schemel vor der Bibel. Abwesend fuhr er mit dem Zeigefinger über den verzierten Ledereinband. »Ihr tut mir Unrecht. Ich bin kein solcher König, und vermutlich wisst Ihr das auch. Aber ich verstehe, dass Ihr bitter seid.«
Jonah ertappte sich dabei, dass er schon anfing, ihm zu verzeihen, und kämpfte entschlossen dagegen an. Er wusste, dass der König seinen Charme mit gewissenloser Berechnung einsetzte, um die Menschen zu manipulieren. Meistens diente es einem guten Zweck, darum war es vielleicht nicht so verwerflich, aber Jonah hatte endgültig genug davon.
»Wenn das alles zu bedeuten hat, dass ich frei bin, dann würde ich jetzt gern nach Hause reiten, Mylord. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Frau ein wenig in Sorge ist.«
»Natürlich könnt Ihr gehen. Aber sie weiß es schon. Sie hat ja dazu beigetragen, dieses verfluchte Lügengespinst zu entwirren. Giselle, Greene, Euer junger Kompagnon und natürlich Philippa.«
»Ist das wahr?«, fragte Jonah ehrlich verblüfft.
Der König lächelte. »Ihr habt wohl gar nicht gewusst, welch gute Freunde Ihr habt. Ihr könnt mit Recht stolz auf sie sein. Nicht einen Moment haben sie geglaubt, dass etwas Wahres an den Vorwürfen des Treasurer sein könnte, dabei waren die Beweise erdrückend. Sie hätten Euch auch überzeugt. Sagenhaft gute Fälschungen, der Dordrecht-Schuldschein – ein Geflecht aus Lügen und Wahrheit. Nichts ist schwieriger zu durchdringen.«
»Und wie mag all das ans Licht gekommen sein?«
»Das weiß niemand genau bis auf Euren Master Willcox. Er hat den Fälscher hinter Schloss und
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