Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Robertsons Mietstall und beobachtete, was auf der anderen Seite des kleinen Platzes geschah.
Im flackernden Schein der Fackel entdeckte Harry Cecil sofort: Er lag zusammengekrümmt auf der Seite, die Knie fast bis zum Kinn hochgezogen, und er rührte sich nicht.
»Oh, Cecil …«, flüsterte Harry heiser. »Bitte nicht.«
Das Umstürzen des hohen Regals hätte jeden Schläfer aufwecken müssen.
Auf das Schlimmste gefasst, sank Harry neben ihm auf die Knie, legte eine Hand auf die magere Schulter und beugte sich über ihn.
Cecil atmete.
»Gott sei gepriesen.«
Cecil schlug die Augen auf. »Harry?«
»Ja.«
»Ist das ein Traum?«
»Blödsinn.«
Langsam drehte der Jüngere sich auf den Rücken. Das Gesicht war eingefallen und furchtbar mager, die Augen groß und blutunterlaufen.
Harry verbarg seine Bestürzung hinter einem breiten Grinsen. »Junge, dir ist ja ein Bart gewachsen. Jedenfalls so was Ähnliches.«
»Ich … ich hab versucht, mich zu Tode zu hungern, Harry. Aber er hat es nicht zugelassen. Hillock. Ich bin doch dein Vater, hat er gesagt, und dann hat er mich gepackt und mir Suppe in den Schlund geschüttet und mich gezwungen zu schlucken.«
»Oh, Cecil«, sagte Harry hilflos. Dann nahm er seinen Arm. »Komm. Ich bring dich nach Hause.«
»Ich habe kein Zuhause mehr.«
»Ich glaube, doch.«
»Wenn du wüsstest, was ich getan habe …«
»Ich weiß es. Ich weiß auch, warum. Ich denke wirklich nicht,dass ich all das wert bin, was du auf dich genommen hast, aber sie haben eben deinen wunden Punkt gefunden. Du hattest keine Chance.«
»Ich bin der letzte Dreck. Was soll man auch erwarten? Sieh dir meine Mutter an. Und meinen … Vater.«
»Du irrst dich, Cecil. Und jetzt komm endlich. Lass uns aus diesem schaurigen Loch verschwinden. Alles wird gut, glaub mir.«
Cecil hätte ihm so gerne geglaubt, aber er konnte nicht. Während Harry ihn auf die Füße zog, äußerte er seine schlimmste Befürchtung: »Er wird mir das niemals verzeihen.«
»Jonah?« Harry legte ihm einen Arm um die Taille und führte ihn die zwei Stufen zur Falltür hoch. »Kann schon sein. Das ist nicht seine starke Seite. Aber was du bist, hängt nicht davon ab, was er denkt, sondern nur von dir allein. Glaub einem Mann, der weiß, wovon er spricht. Und wenn Jonah dir nicht vergeben kann, dann kommst du eben mit mir nach Bordeaux. Das wird dir gefallen. Ich glaube, nirgendwo sonst gibt es so schöne Frauen. Aber vorher müssen wir dich ein bisschen aufpäppeln.«
Lächelnd ließ Cecil den Kopf an die breite Schulter seines Freundes sinken.
Rupert sah alles. Er sah Bernice am Arm ihres Vaters aus dem Haus kommen. Das dumme Luder flennte herzzerreißend, und natürlich folgten die Kinder, die sie im Schlepptau hatte, ihrem Beispiel. Der Gildemeister sprach halb beruhigend, halb ungeduldig auf seine Tochter ein und überließ sie mit offenkundiger Erleichterung der Obhut eines Dieners, den er mitgebracht hatte. Dann kehrte er mit dem Sheriff ins Haus zurück.
Rupert sah auch den Rotschopf mit seinem Bastard aus dem Laden kommen, und das war womöglich ein noch härterer Schlag, denn der Junge wusste viel zu viel. Einen verzweifelten Moment lang überlegte Rupert, ob er ihnen nachschleichen und in einer finsteren Gasse über sie herfallen sollte, aber er erkannte auf einen Blick, dass er gegen den Rotschopf keine Chance hatte.
Er war erledigt. Endgültig erledigt. Nichts und niemand konnte ihn mehr retten. Doch die Erkenntnis erschütterte ihn nicht so sehr, wie er angenommen hätte. Vielleicht weil es schon so lange mit ihm bergab gegangen war, dass der Verlust des letzten Rests an Ansehen und Respektabilität keinen wirklich großen Unterschied mehr machte. Er hatte seine Familie verloren, aber Bernice und die Bälger waren ihm immer nur ein Mühlstein um den Hals gewesen. Er konnte nicht zurück in sein Haus, aber es gehörte ihm ja ohnehin schon lange nicht mehr. Er hatte sein Geschäft und seine Mitgliedschaft in der Gilde verwirkt, doch das Geschäft war in Wahrheit schon seit Jahren tot, und die Beschränkungen und Verpflichtungen, die die Gilde ihm auferlegt hatte, vor allem ihre scheinheilige Moral, widerten ihn an.
Er war ein freier Mann. Vielleicht nicht mehr lange, denn der Sheriff würde nach ihm suchen, wer weiß, vermutlich würde sogar der König nach ihm suchen lassen, wenn diese Geschichte mit den gefälschten Dokumenten herauskam, aber noch war er ein freier Mann. Zum ersten Mal in seinem
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