Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
noch in der Lehre und hatte bislang keine Gelegenheit, mir Feinde zu schaffen,Sir. Oder irgendwen aufs Kreuz zu legen«, fügte er trocken hinzu.
Dermond schnaubte amüsiert, aber Waringham sagte: »Nun, irgendwer ist offenbar anderer Meinung. Wie kommt es, dass Ihr allein nach Norwich reitet, wenn Ihr noch kein Kaufmann seid?«
Stockend erklärte Jonah seine Situation und gestand, dass er auf dem Markt in Norwich seine ersten eigenen Geschäfte tätigen wollte.
»Und was tut Ihr mit der Wolle, die Ihr dort kauft?«, fragte die Königin interessiert.
»Ich schicke sie in Eure Heimat, Madame.«
»Nach Hainault?«, fragte Dermond verwundert. »Aber wieso?«
»Weil es in den Niederlanden die besten Weber, Walker und Färber gibt, Sir«, antwortete Jonah ernst. »Ein solches Tuch, wie die Königin es heute Abend trägt, kann niemand in England herstellen.«
»Ist denn nicht ein Stück Tuch wie das andere?«, fragte Waringham offenbar ehrlich verwundert.
Jonah wusste beim besten Willen nicht, wie er auf so grenzenlose Unwissenheit reagieren sollte, und die Königin sagte, was er dachte: »Meine Güte, Gervais, nehmt lieber noch von diesem vorzüglichen Rehrücken, auf dass Euer Mundwerk beschäftigt sei und Ihr uns mit solch unsäglich dummen Fragen verschont!«
Waringham deutete eine Verbeugung an und zog die Fleischplatte näher. »Wie immer tue ich willig, was meine Königin wünscht«, murmelte er.
»Aber entstehen Euch nicht enorme Kosten durch diesen Transport auf den Kontinent und zurück?«, fragte Geoffrey Dermond Jonah neugierig.
»O doch«, räumte Jonah ein.
»Ich nehme an, die Preise machen es wett«, mutmaßte die Königin.
»Teilweise«, antwortete Jonah, zögerte und sprach nicht weiter.
»Aber?«, half die Königin ihm auf die Sprünge. Sie schien wirklich interessiert, darum fuhr er fort: »Aber die Kosten sind ein hohes Risiko. Ganz zu schweigen davon, dass meine Ladung auf dem Seeweg verloren gehen könnte. Es wäre alles viel einfacher, Madame, wenn die flämischen Weber dorthin kämen, wo die englische Wolle ist. Nicht umgekehrt.«
»Da, seht, eine Sternschnuppe!«, rief eine der jungen Hofdamen aus. Alle schauten zum Himmel auf, und als der feurige Lichtstreif hinreichend bestaunt worden war, nahm das Gespräch eine andere Richtung.
Jonah war erleichtert, als die Tafel endlich aufgehoben wurde. Er war furchtbar müde, und seine Schulter hämmerte und pochte. Er wollte ins Bett. Doch als er in Begleitung der beiden Ritter zu deren Zelt ging, trat ein Page mit einem Öllicht zu ihnen und verneigte sich artig vor Jonah. »Seid so gut und folgt mir, Master Durham. Die Königin wünscht Euch noch kurz zu sprechen.«
Jonah entschuldigte sich bei seinen Begleitern und folgte dem Jungen verwundert zu Philippas Zelt.
Der Innenraum war von vielen Kerzen erhellt. Vage registrierte Jonah die Rosenholzmöbel, die im Schein der Flammen schillerten und glänzten, doch alles verblasste neben dem Anblick der Königin, stellte er ohne Überraschung fest.
Er verneigte sich tief vor Philippa.
Sie lächelte entschuldigend. »Verzeiht mir, dass ich Euch um den Schlaf bringe, den Ihr wohl bitter nötig habt, wenn ich mir Euer Gesicht so anschaue. Aber morgen früh haben wir vielleicht keine Gelegenheit mehr, zu reden, und Ihr müsst mir unbedingt erklären, was Ihr vorhin gemeint habt, als Ihr von den flämischen Webern und der englischen Wolle spracht.«
Jonah erklärte es ihr. Philippas Damen und einige Diener machten sich im hinteren Teil des Zeltes zu schaffen, trotzdem war es beinah, als wäre er allein mit der Königin. Aber er war seltsam unbefangen. Vielleicht, weil sie in gewisser Weise auch eine Fremde in dieser Gemeinschaft von Verschwörern war, die Ausländerin, die erst vor kurzem nach England gekommen warund all diese Menschen kennen gelernt hatte. Vielleicht auch, weil ihm das Thema behagte. Auf diesem Boden konnte er sich sicher bewegen.
»Ein Großteil der englischen Rohwolle wird an flämische Zwischenhändler verkauft, Madame. Rohwolle ist billig. Das Tuch, das diese flämischen Händler zurückbringen, ist teuer. Den Profit machen die Flamen. Natürlich gibt es auch englische Kaufleute, die die Wolle behalten und zum Veredeln nach Flandern schicken, aber Ihr wisst ja, die Risiken. Nicht viele wagen es. Wären jedoch diese flämischen Handwerker, diese Künstler, die englische Wolle so lieben, weil sich das schönste Tuch daraus machen lässt, wären sie hier in England,
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