Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
verabschiedeten die Mitglieder sich murmelnd.
Elia Stephens legte Jonah kurz die Hand auf den Arm. »Brauchst du ein Bett? Bei mir bist du immer willkommen.«
Jonah war erstaunt über all die Freundlichkeit, die ihm plötzlich zuteil wurde. Aber er schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Mein Haus hat noch keine Möbel, aber ich denke, es wird Zeit, dass ich dort einziehe.«
»In der Ropery, nicht wahr?«, fragte Elia. »Dann haben wir den gleichen Weg.«
Jonah verabschiedete sich eilig von Vater Gilbert, der ihn in den letzten Nächten beherbergt hatte, und ging dann zusammen mit Elia die dunklen Straßen entlang.
»Wirst du einen Laden eröffnen?«, fragte der Gildebruder.
Jonah drehte mit den Fingern der Linken versonnen an dem Ring, den er nun wieder trug, und schüttelte langsam den Kopf. »Ich glaube nicht, dass das meine Stärke ist.«
»Also?« Elia sah ihn neugierig von der Seite an. »Was hast du für Pläne?«
Hoflieferant zu werden und der Königin die edelsten Tuche aus den entlegensten Winkeln der Welt zu Füßen zu legen, fuhres ihm durch den Kopf. Aber er sagte achselzuckend: »Ich habe gute Beziehungen zu ein paar Schneidern. Ich denke, mit denen fange ich an.«
Elia nickte versonnen, und als sie zu einem kleinen Haus an der Drapers Lane kamen, hielt er an. Er nickte zu dem erleuchteten Fenster neben der Tür. »Meine Frau wartet im Laden auf mich. Scheint, der Abend ist noch nicht ganz zu Ende.«
»Du bist verheiratet?«, fragte Jonah überrascht. Davon hatte er nichts gehört.
»Hm. Seit zwei Wochen.«
Jonah lächelte. »Glückwunsch, Elia.«
Der frisch gebackene Ehemann grinste stolz. »Danke.« Unvermittelt wurde seine Miene wieder ernst. »Trotzdem würdest du nicht stören, weißt du. Falls du’s dir anders überlegst.«
»Nein, danke. Wirklich nicht. Mir schwirrt der Kopf, und ich muss allein sein.«
»Ja. Das ginge mir sicher ebenso.« Elia befingerte den Schlüsselring an seinem Gürtel, konnte sich aber noch nicht entschließen, sein Haus zu betreten. »Niemand hat mehr ein Wort über Rupert Hillock verloren heute Abend. So sind sie, die Gildebrüder, weißt du. Vor allem die älteren. Sie scheuen sich davor, Schlechtes von einem der Ihren zu sagen.«
Jonah nickte überzeugt. »Oder zu denken. Sie verschließen lieber die Augen davor.«
Elia seufzte. »Ja. So ist es. Willst du mir sagen, was genau dort in Epping Forest passiert ist? Und was du darüber denkst?«
»Nein, ich glaube, lieber nicht.«
Elia lächelte unsicher. »Dann will ich nicht weiter in dich dringen. Aber pass auf dich auf, Jonah, ja?«
»Natürlich. Gute Nacht, Elia. Na los, geh schon, lass deine Frau nicht länger warten.«
Auf dem Weg in die Ropery sah er mehrmals nervös über die Schulter zurück, aber er konnte keinen verräterischen Schatten entdecken, der ihm nachschlich. Er schalt sich einen Narren, schloss die kleine Pforte auf, die in das Tor zum Innenhof seinesHauses eingelassen war, trat über die Schwelle und sperrte hinter sich ab.
Der verwahrloste Hof lag in tiefen Schatten. Das letzte Tageslicht war auf ihrem Heimweg geschwunden, Finsternis verbarg die überwucherten Beete und staubigen Flächen, sammelte sich in den Winkeln zu bedrohlichen, fremden Schatten. Jonah wandte sich nach rechts und tastete sich behutsam zur Haustür vor. Er hatte weder Kerze noch Feuerstein bei sich. Warum hatte er daran nicht gedacht? Was, wenn er hier im Dunkeln die Treppe herunterpurzelte und sich den Hals brach? Dann würde seine Karriere vermutlich als die kürzeste in der Geschichte der Tuchhändlergilde in die Annalen eingehen …
Die unverschlossene Haustür führte in einen kleinen Vorraum, von welchem die Treppe zur Halle hinaufging. Rechter Hand lag eine Vorratskammer, die schon seit Jahren keine Schinken, Würste und Kornfässer mehr beherbergte. Im schwachen Schimmer des Mondlichts, das durch das kleine Fenster fiel, tastete er sich in den Raum vor, ließ sich an der Wand entlang zu Boden gleiten, streckte die langen Beine aus und kreuzte die Knöchel.
»Jonah Durham, Tuchhändler«, murmelte er vor sich hin, um zu erproben, wie es klang. Tuchhändler von Philippas Gnaden. Oder auch von Ruperts Gnaden, diesem Schwachkopf. Jüngster, unerfahrenster Londoner Tuchhändler aller Zeiten mit einem Vermögen von vierhundert Pfund, das er dank seiner Unerfahrenheit vermutlich in beispiellos kurzer Zeit verlieren würde. Und was dann, Jonah? Was soll aus dir werden, wenn du mit diesem Abenteuer
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