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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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wegen seines Unwillens, sondern weil er auf einmal so erschöpft war, dass er kaum mehr weiterkonnte.
    Ein Soldat in Helm und Kettenhemd stand am inneren Tor, aber ehe er Jonah ansprechen konnte, kam ein halbwüchsiger Junge aus dem Torhaus und sagte: »Das ist der Mann, auf den ich warten sollte.«
    Jonah erkannte ihn. Es war Waringhams Knappe. Er musste einen Moment überlegen. »Roger?«
    Der Junge nickte lächelnd und winkte. »Folgt mir, Master Durham.«
    Er brachte ihn durch das tunnelartige Tor in den riesigen Innenhof der Burganlage. Jonah blieb einen Augenblick stehen und sah sich staunend um. Er hatte gehört, dass es im Innern der Einfriedung eine Vielzahl von Türmen gab, aber er hatte nicht geahnt, dass jeder einzelne stark und trutzig genug wirkte, um auch ohne Graben und Ringmauern jeden Angriff abwehren zu können. Er wusste, in einem der Türme wurde der königliche Salzvorrat aufbewahrt, in einem anderen ein riesiges Arsenal an Waffen, vornehmlich Pfeilen, wieder ein anderer beherbergte die königliche Münze. An einem anderen Tag hätte er sich vielleicht gefragt, was oder wer sich im Einzelnen hinter den dicken Mauern verbarg, aber heute war er zu bekümmert, um irgendetwas anderes als dumpfes Staunen zu empfinden.
    Auch Roger schien untypisch niedergeschlagen. Mit hängendem Kopf drängte er sich vor Jonah durch die Gruppen von Soldaten und Rittern und eine Schar Knechte, die die immer noch bunt geschmückten Turnierpferde wegführten.
    »Habt Ihr gesehen, was passiert ist?«, fragte der Knappe schließlich, als sie sich dem White Tower, dem zentralen Hauptgebäude in der Mitte des Innenhofs, näherten.
    Jonah sah an dem weiß getünchten Bau mit den kleinen Fensterchen hoch, der bis in den Himmel zu ragen schien, schaute den Jungen dann wieder an und nickte. »Du auch?«
    »Nicht richtig. Ich hab mit meinen Freunden an unserem Pavillon gestanden, hinten an der Sopar’s Lane. Aber wir habengesehen, wie die Tribüne einstürzte. Ich dachte … Ich dachte, die Königin ist tot.«
    Jonah tastete verstohlen mit der Linken nach dem Diadem, das er in sein Wams gesteckt hatte und somit auf der Haut trug, damit es nur ja keinem der ungezählten Londoner Langfinger in die Hände fallen konnte. Es war kalt und scharfkantig und spitz, aber er war trotzdem unwillig, es wieder herzugeben. Während Roger ihn die Treppe zum Eingang des White Tower hinaufbrachte, nestelte Jonah den kostbaren Kopfschmuck aus der Kleidung hervor und hielt ihn mit der Linken unter dem Mantel versteckt.
    In der großen Halle herrschte ein dichtes Gedränge, aber es war eigentümlich still. Männer und Frauen mit bleichen Gesichtern saßen an den langen Tafeln, nicht wenige trugen einen Verband um die Stirn oder einen Arm in der Schlinge. Am unteren Ende des linken Tisches entdeckte er ein junges Paar, offenbar Geschwister, und das Mädchen hatte ihrem weinenden Bruder tröstend einen Arm um die Schultern gelegt, während Tränen über ihr eigenes Gesicht rannen. Er fragte sich plötzlich, was aus Elena de la Pole geworden war, und sah sich suchend nach der kleinen Giselle um, konnte sie jedoch nirgends entdecken.
    König Edward, die Königin und eine Anzahl Adliger saßen an der erhöhten Tafel an der Stirnseite des Saales, und vor ihnen kniete eine jammervolle Schar: ein gutes Dutzend Männer jeden Alters, deren einfache, graublaue Kleidung neben den bunten Gewändern der Höflinge derb und ärmlich wirkte. Sie hielten ihre Lederkappen in den Händen und sahen starr zu Boden. Hinter ihnen hatte eine Reihe Soldaten Stellung bezogen.
    »Ich frage euch zum letzten Mal«, grollte der König. »Wer hat euch zu diesem Anschlag angestiftet? Von wem habt ihr euch kaufen lassen?« Er sprach nicht laut, aber seine Stimme bebte vor Zorn, sein gut aussehendes Gesicht war unnatürlich bleich.
    Einen Moment herrschte Stille, dann hob einer der älterender Zimmerleute den grauen Zottelkopf und antwortete: »Ich schwöre bei Gott und dem heiligen Joseph, der unser Schutzpatron ist, dass es kein Anschlag war, Euer Gnaden …«
    »Schwöre lieber nicht«, fiel der König ihm ins Wort. »Lade dir keinen Meineid auf, so kurz bevor du deinem Schöpfer gegenübertrittst.« Er erhob sich und machte den Wachen ein ungeduldiges Zeichen. »Schafft sie weg, ich will sie nicht mehr sehen.« Dann fauchte er die Handwerker an: »Ein jeder von euch wird angeklagt, und zwar wegen des versuchten Mordes an eurer Königin. Ihr könnt froh sein, wenn ihr nur hängen

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