Der Koenig geht tot
er die Haustür selbst öffnen konnte. Max Sorge war völlig überflüssig. Die Haustür war nur angelehnt, ganz offensichtlich, um potentiellen Besuchern den Eintritt zu ermöglichen. Gleichzeitig eine Geste, die so ganz Gerdas und Jupps Mentalität entsprach: offen, gastfreundlich und unkompliziert. Max klingelte trotz der angelehnten Tür, trat aber, ohne eine Antwort abzuwarten, ein. Jupp war bei seiner Lieblingsbeschäftigung er telefonierte. Gleichzeitig winkte er seinen Gast herein. Max überlegte sich, wie lange er selbst dieses Leben wohl aushalten würde. Quasi niedergestreckt, angewiesen auf die Hilfe anderer und ohne die Sicherheit, irgendwann wieder schmerzfrei leben zu können. Er hätte gerne mit Jupp über diese Situation gesprochen, doch hatte er bislang das Gefühl gehabt, Jupp weiche solchen Gesprächen notorisch aus – ein Zug, den Max verstehen konnte wie kein anderer. Jupp mußte die Hilflosigkeit geradezu rasend machen. Max kannte ihn als einen unwahrscheinlich agilen Menschen, einen Anpacker, der nicht einen Tag wirklich zur Ruhe kommen konnte. Als Max sehr eng mit Christoph Baumüller befreundet gewesen war, hatte er sich immer gewundert, mit wie vielen Menschen Jupp Kontakt hatte. Natürlich war er meistens für seine Dorfvereine aktiv, allen voran die Schützenbruderschaft. Aber damals hatte Jupp sich auch für ein paar ziemlich abgefahrene junge Leute stark gemacht, die einen Probenraum für ihre Heavy-Metal-Band suchten. Jupp hatte Tränen in den Augen gehabt, als die Jungs zu seinem Fünfzigsten ein Ständchen gebracht hatten.
Max bemerkte zunächst gar nicht, daß das Telefonat beendet war. Er hatte sich auf einen Sessel fallen lassen und starrte ins Leere. Jupp ließ ihm Zeit. Er sagte nicht mal Guten Tag, sondern lehnte sich einfach zurück und schwieg.
»Es ist vorbei«, murmelte Max dann undeutlich. »Jürgen Hebel hat Selbstmord verübt. Und das nicht ohne Grund. Er hat vor seinem Tod ein schriftliches Geständnis verfaßt, aus dem hervorgeht, daß er König auf dem Gewissen hat.«
»Wie? Was?« Jupp hätte nicht ungläubiger gucken können.
»Vermutlich hat König gedroht, Hebels Geldentnahme an die große Glocke zu hängen. Deshalb muß es auf dem Schützenfest zum Streit gekommen sein. Anschließend ist Hebel dem König gefolgt, was mit einem schicksalhaften Totschlag endete. Mit dieser Geschichte hat euer Schatzmeister nicht leben können und sich deshalb eine Kugel in den Kopf gejagt. Vielleicht hat er aber auch einfach nur Angst gehabt, daß alles herauskommt.«
Jupp Baumüller lag da und verarbeitete augenscheinlich das Gehörte.
»Aber aber von Selbstmord war doch zunächst gar nicht die Rede«, sagte er dann.
»Da hast du recht. Die Leute, die nach dem Vogelschießen die Leiche gefunden haben, konnten nur das Einschußloch im Schädel erkennen, aber keine Pistole in der Hand. Das hat einen einfachen Grund. Die Pistole ist Hebel beim Sturz aus der Hand gefallen. Sie lag fast einen Meter entfernt von der Leiche im hohen Gras. Ein altes Modell einer Mauser. Keine Ahnung, wo er die her hatte. Aber auf der Pistole sind Hebels Fingerabdrücke gefunden worden. Er hat sich selbst getötet.«
»Und er hat ein Geständnis geschrieben?« Jupp war noch viel verwirrter, als Max es gewesen war.
»Man hat in seiner Jackentasche ein Schreiben gefunden, mit dem Computer geschrieben und von ihm unterzeichnet. Warte, ich hab’ mir den Text genau aufgeschrieben.« Max kramte ein Zettelchen aus seiner Hosentasche und entfaltete es.
»Hiermit gestehe ich, den Mord an Wilfried König begangen zu haben. Es geschah in der Aufregung eines Streits, dennoch weiß ich, daß ich allein die Verantwortung für das Geschehene trage. Ich bitte die Hinterbliebenen inständig um Verzeihung. Für mich selbst sehe ich keine Lebensperspektive mehr, darunter Jürgen Hebel.«
»Auf dem Computer geschrieben?« fragte Jupp Baumüller verwundert. »Ist das nicht merkwürdig?«
»Das habe ich auch gefragt«, meinte Max nachdenklich.
»Aber nach Christophs Meinung ist das gar nicht merkwürdig. Die Art eines Abschiedsbriefes hat angeblich viel mit dem Charakter oder Beruf des Schreibers zu tun. Für einen Buchhalter wie Hebel, der den ganzen Tag mit dem Computer umgeht, wäre es ungewöhnlich, einen längeren Text handschriftlich zu verfassen. Was die Polizei angeht, so wäre man natürlich froh, beide Vorkommnisse bald auf einen Schlag klären zu können. Es sind zwar noch nicht
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