Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)
erfüllte mich mit dem grausamen Gefühl, daß der Herrgott mit der einen Hand gibt und mit der anderen nimmt.
Mein Vater hatte Henri Quatre mit der gleichen Leidenschaft gedient, mit der ich Ludwig diente. Als die Laufbahn der Kämpfe und der gefährlichen einsamen Missionen ihm zu beschwerlich wurde, begann er seine Memoiren zu schreiben, und nachdem er die Schilderung seiner Abenteuer beendet hatte, forderte er mich auf, sein Werk fortzuführen und niederzuschreiben, was ich erlebt hatte und weiter im Dienste Ludwigs und Richelieus erleben würde. Zuerst fürchtete ich, daß meine Erzählung die Höhe der seinen niemals erreichen könnte, doch beim ersten Versuch, den ich machte, beruhigte mich mein Vater. Gewiß, ich benutzte viel weniger als er unsere schöne okzitanische Sprache, aber die Epoche war nun einmal eine andere geworden.
Und jetzt war mein Vater, mein Held, mein Vorbild nicht mehr. Sobald ich meine Lähmung überwinden konnte, befahl ich meine Karosse und meine Suite, und ohne daß Catherine mich begleiten durfte, wie sie sich großmütig erbot, fuhr ich zum Haus meines Vaters.
Mein Herz wurde zu Eis, als ich ihn da liegen sah, in der schrecklichen Reglosigkeit des Todes, mit geschlossenen Augen, erloschenem Gesicht.
Ich fiel auf die Knie und begann zu beten, doch die Gebete brachten mir keine Hilfe und schon gar nicht der Sermon des anwesenden Pfarrers, der meinem Vater die ewige Seligkeit verhieß. Denn wie, verflixt, konnte er sie ihm verheißen, bevor der göttliche Richter sein Urteil gesprochen hatte? Und wer wäre denn je zurückgekehrt aus jener Seligkeit und hätte uns ihrer versichert? Ich kann meine Ungewißheiten in dieser Hinsicht nicht verhehlen.
Wie kann glücklich sein, wer keine Augen hat, den Glanz deraufgehenden Sonne zu sehen, die Farbspiele der Dämmerung zu bewundern? Wer keine Ohren hat, die Stimme der Geliebten zu hören, keine Lippen, sie mit den ihren zu vereinigen? Als ich Fogacer diese Zweifel eröffnete, fegte er sie im Nu beiseite: »Mein lieber Herzog, Ihr vergeßt die Auferstehung!«
Vom Beten kam ich immer wieder ins Sinnen darüber, was ich meinem Vater verdankte. Zu allererst einen gesunden und kräftigen Körper, eine Lebensfreude, die sich von allen Schmerzen und Enttäuschungen nicht kleinkriegen ließ, Entschlossenheit in der Führung meiner Unternehmungen, eherne Treue gegenüber meinem König, untilgbare Abscheu vor niedrigen Machenschaften, Komplotten und Kabalen, und den Entschluß, niemals zu heucheln noch zu geizen, und was noch besser ist, den Willen, meine eigenen Schwächen wie auch die der anderen mit Nachsicht zu betrachten.
***
»Monsieur, wie kommt es, daß Sie in Ihren Memoiren nie mehr von Ihrer Mutter, der Herzogin von Guise, sprechen?«
»Sie hat mir ihre Tür verschlossen.«
»Und warum?«
»Sie ist eine hochmütige Frau, und ich bleibe nun einmal, trotz ihren Bitten, Geboten und sogar Drohungen, dabei, dem Kardinal Richelieu zu dienen, den sie aufs tiefste verabscheut.«
»Wer hätte geglaubt, daß bei einer Frau die politische Leidenschaft stärker sein könnte als das Blut?«
»Sie hat einen Jesuiten zum Beichtvater.«
»Haben Sie denn gar keine Verbindung mehr zu ihr?«
»Doch! Ich schicke ihr öfters Briefe und Blumen. Auf erstere antwortet sie nie, dankt mir aber für letztere jedesmal.«
»Ist das nicht widersinnig?«
»Ich weiß nicht. Es ist das Resultat einer guten Erziehung. Für Blumen muß man sich immer bedanken, hingegen kompromittiert man sich, wenn man einen Brief beantwortet.«
»Leiden Sie nicht darunter, sie nicht mehr zu sehen?«
»Doch. Und ich bin mir sicher, daß auch sie darunter leidet. Aber soll sie ihren Platz im Paradies nur um der Freude willen verlieren, diesen teuflischen Sohn wiederzusehen?«
»Und was taten Sie, als sie Ihnen die Tür vor der Nase zuschlug?«
»Was konnte ich anderes tun, als all meine Liebe meinem Vater zuwenden? Im übrigen hatte ich tausend Gründe, ihm die größte Dankbarkeit entgegenzubringen, schließlich hat er mich mit aller Sorgfalt erzogen.«
»War das nicht selbstverständlich?«
»Durchaus nicht. In adligen Familien begnügt man sich damit, einen Sohn das Reiten, Fechten und Tanzen zu lehren. Aber mein Vater nährte mich von klein auf mit der Mathematik, der Geschichte und fremden Sprachen. Ja, er schickte mich unter großen Kosten zu langen Aufenthalten nach England, Italien und Deutschland, weil er darauf vertraute, daß ich Frauen begegnen würde, die
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